A 21
Machterhalt durch Desintegration   

Während des Mittelalters und der frühen Neuzeit sicherten die adeligen Machthaber ihre Position im Wesentlichen auf zweierlei  Weise, erstens durch die Einrichtung einer hierarchischen Ordnung und zweitens durch eine Kooperation mit der Kirche. Diese propagierte das Dogma, dass der König von Gottes Gnaden eingesetzt sei. Durch diesen psychologischen Trick kam jedes Anzweifeln des königlichen Machtanspruchs einem religiösen Frevel gleich. – Das ist ein typisches Beispiel für kulturelle Gewalt, also die Beherrschung durch eine den Menschen manipulativ aufgezwungene Philosophie bzw. Moral.

Vergleichbare Modelle der Machtsicherung finden sich in den meisten zivilisatorisch entwickelten Gesellschaften weltweit – und sie finden sich folgerichtig auch im inoffiziellen Herrschaftssystem des Kapitalismus. Hinter dessen künstlich menschenfreundlicher Fassade wird das tatsächliche Prinzip sichtbar, welchem dem altbewährten Motto folgt „divide et impera,“ teile und herrsche. Damit war nie gemeint, auf der obersten, eigentlichen Machtebene mit anderen zu teilen, sondern, dass man anderen Personen auf einer mittleren Ebene begrenzte Macht einräumt. Zum Beispiel existierte innerhalb einiger der mittelalterlichen Königreiche eine Anzahl von Fürstentümern und Grafschaften, welche ihrerseits in Land Rittergüter aufgeteilt waren. Die kleineren Machthaber wurden dabei nach Möglichkeit in ständiger Konkurrenzsituation zueinander gehalten, was sie wiederum am Machtzuwachs hinderte. Aufgrund der Gefahr von Aufständen galt das Konzept erst recht gegenüber der Masse der einfachen Bürger, was auf eine Unterdrückung aller freiheitlichen Regungen hinausläuft – und somit auf eine uneinige, desintegrierte und politisch passive Gesellschaft.

Wie die Beispiele der EIC – East India Company - und der niederländischen VOC  (Kapitel A 4. „Imperialismus“) zeigen, sind die Ursprünge des Kapitalismus in Großbritannien sowie teilweise auch in den Niederlanden zu suchen, von wo aus sich dieses System der Habgier, der Ausbeutung und Staats Manipulation in Nordamerika sowie schrittweise in Europa ausgebreitet hat, um inzwischen weltweit eine beherrschende Position zu besetzen.

Spätestens seit dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1965) wird die Politik in den kapitalistischen Ländern zunehmend von der vorrangigen Bedienung der Interessen einer kleinen Gruppe von Superreichen bzw. deren Konzernen, Banken und Medien geprägt – während diejenigen der jeweiligen Nation zunehmend in den Hintergrund treten oder  hintertrieben werden. 

Unter diesem Blickwinkel war der Amerikanische Bürgerkrieg kaum die anthropophile Großtat zur Befreiung einer tatsächlich unterdrückten Minderheit, nämlich der afrikanischen Sklaven in den Südstaaten, sondern vielmehr die Bereitstellung billiger Arbeitskräfte für die Großindustrie in den Nordstaaten – unter Inkaufnahme von über 800.000 Todesopfern. Tatsächlich bot auch die Behandlung der schwarzen Sklaven durch die Armee der siegreichen Nordstaaten keinerlei Hinweise auf eine Befreiung oder gar die Perspektive einer Emanzipation. “… the Union Army was re-capturing freed slaves throughout the South and pressing them into hard labor in disease-ridden “contraband camps,” as escaped and freed slaves were considered "captured enemy property"..." – (Zum Ende des Bürgerkrieges) … fing die Armee der Union (Nordstaaten) im gesamten Süden befreite Sklaven wieder ein und zwang sie unter harten Arbeitsbedingungen in krankheits verseuchte Gefangenenlager/ “Schmugglerlager”. /  Brett Wilkins, A Brief History of US Concentration Camps, in: Common Dreams, 21. Huni 2019, Referenz https://www.commondreams.org/views/2019/06/21/brief-history-us-concentration-camps Gegen die offziell verkündete historische Interpretation des Bürgerkrieges als Befreiungsaktion spricht auch ein Vergleich mit Lateinamerika. In keinem der rund 20 Länder hat die Sklavenfrage und ihre Lösung zu einem Bürgerkrieg geführt. Das war auch kein Wunder, denn dieser gesellschaftliche Wandel  lag im Trend eines sich wandelnden Zeitgeistes und wurde von der Bevölkerungsmehrheit somit als konsequente, selbstverständliche Reform (demokratisch) mitgetragen. 

Der Amerikanische Bürgerkrieg und der vorausgegangene Austritt der Südstaaten aus der Union erweisen sich als Produkt eines unreifen, auf beiden Seiten hypokritischen Umganges mit einem nationalen Gemeinschaft Problem, das nicht gegeneinander, sondern ausschließlich miteinander zu lösen war. Die Gewaltanwendung repräsentierte stattdessen eines der unzähligen Beispiele für das kapitalistische Antikonzept, unter Vorwänden Uneinigkeit zu schüren, während es hinter den Kulissen um ganz andere Ziele ging und geht. Regelmäßig werden dabei riesige Kollateralschäden billigend in Kauf genommen.

Auch in Lateinamerika hat es Bürgerkriege gegeben. Deren Ursachen waren jedoch seltener interner Natur, sondern standen eher mit massiver Einmischung durch die immer stärker kapitalistisch dominierten USA in Verbindung. Diese Einflussnahme zielte weder auf eine Befreiung  von Spannungs- und Unrechtszuständen ab, noch war sie demokratisch oder freundschaftlich motiviert, sondern antidemokratisch, radikalisierend und desintegrierend. Ein Beispiel mit Auftakt Charakter lieferten die Aktivitäten der United Fruit Company,welche in Guatemala als Groß Grundeigentümer riesige Bananenplantagen betrieben. Die Arbeitsbedingungen waren ausbeuterisch. U.a. wurden die Beschäftigten nicht in Geld bezahlt, sondern in Gutscheinen, mit denen sie ausschließlich in den firmeneigenen Läden einkaufen konnten. 1953 beschloss die Regierung des demokratisch gewählten Präsidenten Jacobo Arbenz Guzman eine Landreform unter Enteignung der  großen Landwirtschaftsgüter gegen Entschädigung. Im Fall der United Fruit fiel die Entschädigung selbst verschuldet gering aus, indem die vom Konzern an die Steuerbehörde gemeldeten niedrigen Werte zugrunde gelegt wurden. Vom National Security Council in Washington wurde daraufhin ein Waffenembargo gegen Guatemala ausgesprochen und die CIA mit der Aufstellung einer Invasionsarmee beauftragt, um einen Umsturz der Regierung herbeizuführen. Im Nachbarland Nicaragua entstand in Kooperation mit dem dortigen Diktator Somoza ein entsprechendes Ausbildungslager. 1954 kam es zur Invasion, die unter dem Namen Operation PBSUCCESS in die Geschichte einging. Doch kehrte mit dem freiwilligen Rücktritt des Präsidenten Arbenz Guzman und der Machtübernahme des Militärs keineswegs Ruhe ein – Guatemala tauchte bis zum Jahr 1996 in eine mehr als 40 Jahre andauernde Epoche fortwährender Bürgerkriege unter Einflussnahme der USA ein - genauer der Kapitalisten hinter den Kulissen – also in Zustände, die in vielen Aspekten den aktuellen in Syrien ähneln.

Die Umstände, unter welchen diese Einmischung in Guatemala ablief, stellten einen militärgeschichtlichen Wendepunkt dar, indem  die primitive Brutalität des Mittelalters wiederbelebt und - auch auf psychologischer Ebene -„verfeinert“ wurde / Referenz Wikipedia „United Fruit Company“:  

  1. Zuständigkeit für Planung, Organisation und teilweise auch Ausführung nicht beim Pentagon und dem regulären US-Militär, sondern beim 1949 geschaffenen Geheimdienst CIA 

  2. Paramilitärische Ausbildung von einheimischen Bürgerkriegs Teilnehmern, teilweise in Nachbarstaaten 

  3. Auffällige Vielzahl kleiner und mittlerer Konfliktparteien,

  4. CIA-Unterstützung in wechselnden und teilweise undurchsichtigen Allianzen, manchmal auf Regierungsseite, manchmal auf Seiten verschiedener Aufständischer

  5. Versorgung mehrerer Konfliktparteien mit Waffen 

  6. Auffällige Grausamkeit der „Ausgebildeten“, Stichwort Todesschwadronen, Folter

  7. Sehr umfangreiche Einbeziehung der Zivilbevölkerung in die bewaffneten Auseinandersetzungen der aufständischen Kämpfer, erschreckend große Opferzahlen

  8. Auch bei den Angriffszielen regelmässiges Übergreifen auf zivile Objekte

  9. Koordinierte militärische und Propaganda Aktionen, stets die Titulierung der gerade offiziell unterstützten Partei als „gemäßigt" und der gegnerischen als „radikal“. 

  10. Informationen lückenhaft und unzuverlässig, Propaganda und Wahrheit untrennbar

  11. Häufige Zusammenarbeit mit Diktatoren, Putschisten oder Rebellen, auch gegen demokratisch gewählte Regierungen

  12. Zusammenarbeit mit Drogenhändlern

  13. Offenkundige politische Einwirkung der Kapitalisten – der 1954 amtierende CIA-Direktor Allen Welsh Dulles war gleichzeitig Anwalt und Lobbyist der United Fruit Company, deren Interessen in der Operation PBSUCCESS vertreten wurden.  / Referenz: Wikipedia „Operation PBSUCCESS“

Die aufgeführten Kennzeichen fanden sich fortan mit wechselnden Schwerpunkten in allen offiziellen und inoffiziellen Militäraktionen der USA unter Beteiligung der CIA. Wie bereits im Kapitel A 20. dargelegt, liefen diese regelmäßig darauf hinaus, dass Konflikte nicht etwa einem konstruktiven, freiheitlichen und demokratischen Ende zugeführt, sondern schier endlos in die Länge gezogen wurden, teilweise unter Einbeziehung von Nachbarländern. 

Für die in vergleichbarem Stil bereits „befriedeten“ Länder in Mittelamerika, in Nordafrika und im Nahen Osten gilt fast durchweg die Beobachtung, dass die Auswirkungen der Eingriffe in Destabilisierung bestanden. Die Bevölkerung wurde in tribalistische Zerstrittenheit und Desintegration, in wirtschaftliche und familiäre Entwurzelung sowie in  Verängstigung und Desorientierung getrieben – also in Zustände der zerstörten Autonomie

In den USA selbst ist die desintegrierende Wirkung des eigenen Bürgerkrieges auf der psychophysiologischen Ebene bis heute nicht ganz überwunden, denn die gewaltsame Rückführung der Südstaaten in die Union hat den ursprünglich in der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung der USA zum Ausdruck gebrachten Charakter einer Assoziation freier Staaten nachhaltig beschädigt. Diese Assoziation war durch gemeinsame Grundwerte vereinigt, nicht durch Gewalt und das Recht des Stärkeren. 

Im historischen Rückblick kann man im Amerikanischen Bürgerkrieg den Auftakt zur kapitalistischen Unterwerfung, Verfälschung und Beschädigung der USA sowie zu einer weltweiten, bis heute andauernden Serie desintegrierender Prozesse erkennen. 

Denn das hinter einer konstruktiven Fassade tatsächlich erwünschte  Antikonzept bestand stets in Desintegration und Zersplitterung. Da war die Aufspaltung Österreich-Ungarns nach dem 1. Weltkrieg, die Spaltung Berlins, Deutschlands und ganz Europas nach dem 2. Weltkrieg, diejenige Koreas kurz darauf, alsdann die Loslösung fast aller verbliebenen Kolonien von ihren europäischen Mutterländern, die Aufspaltung Jugoslawiens und diejenige des Sudan. (Der Zerfall der Sowjetunion stellte einen komplexeren Sonderfall dar, der nur indirekt kapitalistischer Beeinflussbarkeit zugänglich war.) Dazu kamen Autonomiebestrebungen in Spanien, so dass das Land nunmehr aus 17 autonomen Gebietskörperschaften (Comunidades Autónomas) besteht.

Das weltweite Erstarken des Kapitalismus etwa seit 1850 erhielt im Verlaufe des 20. Jahrhunderts vielerlei zusätzliche Impulse durch den Fortschritt in den Kommunikationstechniken. Die Möglichkeiten der Meinungsbeeinflussung über die Medien erreichten bereits zur Zeit des 1.Weltkrieges so erschreckende Dimensionen (Stichwort Creel Committee gegen Schluss des Kapitels A 12. „Pressefreiheit ...“), dass sie nicht mehr zu übersehen waren - eigentlich. Doch wurde die paralysierende Propaganda von den meisten Menschen nicht als solche durchschaut – was ihre psychologischen Mechanismen aber auch bezwecken und mit sich bringt. So konnte das 20. Jahrhundert vor den Augen und unter teilweise aktiver Beteiligung der demokratischen Nationen zur Epoche der militärischen Gewalt werden - mit insgesamt etwa 190 Millionen Todesopfern.

Die Kriege in Korea und Vietnam haben gezeigt, dass es namentlich für ein geteiltes Land kaum etwas Schlimmeres geben kann, als wenn sein mit den USA verbündeter Teil gegen den anderen, kommunistischen, “verteidigt” wird. NATO-Offiziere, die während der Zeit vor dem Ende der Sowjetunion an militärischen Planspielen in Deutschland teilnahmen, haben miterlebt, mit welcher Leichtfertigkeit der Einsatz taktischer Atomwaffen im dicht besiedelten Mitteleuropa vorgesehen war, während keinerlei Pläne vorlagen, wie man eine mögliche Auseinandersetzung einem raschen und erfolgreichen Ende zuzuführen gedachte. - Es wäre aufschlussreich zu erfahren, wie heutzutage die diesbezüglichen Planungen der fortbestehenden NATO aussehen. Schließlich geht es um Verantwortung gegenüber Menschen.

 

Kapitel A 21. / Kurzauszug – Die kontraproduktive Hochrüstung der NATO

Die NATO war gegen die – gerade erst unter F. D. Roosevelt hochgerüstete, nach dem 2. Weltkrieg jedoch bald als gefährlich “identifizierte” Sowjetunion gegründet worden war. Nach außen wurde das Bündnis als Vorhut und Verteidiger von Freiheit und Demokratie präsentiert, doch konnte man bei genauerem Hinsehen erkennen, dass es darauf nicht so sehr ankam. Gründungsmitglied Portugal war damals eine Diktatur und die Türkei hat seit Ende des 2. Weltkriegs dreimal einen erfolgreichen Militärputsch erlebt. – Genauer betrachtet lag und liegt das dortige Problem einer ungefestigten Demokratie aber nicht beim Militär, sondern bei islamistischen Kräften, die den Anlass zum Putschen gegeben hatten. Aktuell ist zusätzlich ein wachsender Nationalismus und ein Abrücken von demokratischen Prinzipien erkennbar, u.a. mit zahlreichen politisch motivierten Verhaftungen und einem Ermächtigungsgesetz, das den Präsidenten mit ausgedehnten Entscheidungskompetenzen zu Lasten des Parlaments ausgestattet.

Wie inoffiziell zu erfahren war, ging es bei der NATO-Gründung in der Tat um andere Ziele als um freiheitliche Demokratie, nämlich “die Deutschen unten, die Amerikaner (faktisch die Macht des grossen Geldes) drinnen und die Russen draußen zu halten”. - Dass diese inoffizielle Funktion der NATO auch die bis heute exakt zutreffende ist, belegt namentlich ihr Fortbestehen nach der Auflösung der Sowjetunion 1991, genauer aber belegen es die die Vorwände und die Missachtung der Realität rund um die Weiterführung dieses extrem kostspieligen Bündnisses. 963 Milliarden Dollar gaben alle 29 NATO-Staaten in 2018 zusammen aus, davon alleine die USA rund 2/3 - 649 Milliarden. / NATO-Aufrüstung, BUND.de am 07.07.2019, www.bund-rvso.de 

Die russische Invasion der Ukraine Ende Februar 2022 gibt Anlass zum nachträglichen Einschub dieses Absatzes: - Als ein nach Kalifornien emigrierter Japaner während des 2. Weltkrieges gefragt wurde, ob er sich einen Sieg Japans oder der USA wünsche, antwortete er sinngemäß, „wenn deine Eltern sich heftig streiten, wünschst du dir dann, dass deine Mutter gewinnt oder dein Vater?“ – und gab selbst die Antwort: „Du wünschst dir, dass sie sich wieder vertragen“. So sollten die Anstrengungen auch im Fall des jetzigen Ukraine Konflikts der Analyse der tieferen Ursachen und dem Ausschau Halten nach allen  Möglichkeiten einer Verständigung gelten, statt eine Eskalation Kaskade anzuheizen, die bei ihrer Fortsetzung bereits binnen weniger Wochen völlig außer Kontrolle zu geraten droht. 

Vordergründig betrachtet existiert der Disput erst seit 2014, als ein nach blutigen Unruhen erfolgter Regierungswechsel in Kiew die Loslösung der Krim sowie der beiden Gebiete Lugansk und Donezk ausgelöst hatte. Aus einer historischen Perspektive stößt man allerdings auf eine Vorgeschichte, die bereits mit dem sogenannten Krimkrieg von 1853 bis 1856 begann. Damals traten Großbritannien und Frankreich in einen Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich ein, und zwar auf der Seite der Türken - und damit klar gegen die Gedanken der europäischen Solidarität. Die genauere Beschäftigung mit den historischen Hintergründen (siehe Kapitel A 22.) bestätigt den Eindruck, dass Russland nach den Vorstellungen einflussreicher Kreise in Großbritannien und in den USA nicht zur europäischen Völkergemeinschaft gehören sollte, damals nicht und bis heute nicht. 

Die militärische Invasion der Ukraine vom 24. Februar 2022 stellt einen formalen Völkerrechtsverstoß dar (allerdings ebenso wie die meisten der über 200 amerikanischen Interventionen nach dem 2. Weltkrieg), empfindlicher aber einen Verstoß gegen das Prinzip der europäischen Solidarität, welche ja Russland einschließt. So lässt Putin Russland in eine Außenseiterposition geraten und tut damit den polarisierenden Kräften im „Westen“ einen riesigen Gefallen. Dass die ukrainische Regierung mit der diskriminierenden Behandlung ihrer Russisch sprechenden Bürger und mit ihrer Kooperationsverweigerung bei der Umsetzung des Minsker Abkommens einen gehörigen Anteil an der desintegrierten Entwicklung hat, geht im grossen Solidarity Enthusiasmus für die Ukraine unter. Ebenso geht darüber die amerikanische Einflussnahme bei der nun eskalierenden Entwicklung unter, genauer gesagt die Einflussnahme der polarisierenden Kräfte in der amerikanischen Politik. 

Die Frage, wer damit begonnen hat, von Osteuropa aus den Weltfrieden zu bedrohen, beantwortet bereits die 1999 (noch vor Putin) begonnene Ostexpansion der NATO (mit weiteren Kandidaten auf der Liste, aktuell Georgien, Bosnien-Herzegowina und die Ukraine). Betrachtet man weiterhin die Zahlen zu den NATO-Rüstungsausgaben neben russischen Vergleichswerten, zeigen diese auf „westlicher“ Seite nicht nur gewaltige Beträge, sondern erschreckend weit über das legitime Ziel einer Verteidigungsfähigkeit Hinausreichende - denn die USA gaben mehr als zehnmal soviel aus als Russland. Selbst unter den vielen (vermeintlichen) NATO-Verstehern in Politik und Medien dürfte nicht sehr vielen bekannt sein, dass die EU 2017 still und unauffällig ein eigenes Verteidigungsbündnis kreiert hat, das sich PESCO nennt und natürlich weitere Milliarden verschlingt. Dieses Bündnis mit Beistandspflicht im Angriffsfall macht einen „begrenzten“ Atomkrieg gegen Russland von Amerika aus betrachtet durchführbar - und auch von Großbritannien aus, das ja nun nicht mehr zur EU gehört. (Es stimmt nachdenklich, dass der Brexit von den Medien in sehr auffälligem Maße gepusht worden ist.) In diesem Kontext schaffen die gerade aufgenommenen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine eine schaurige Perspektive. NATO-Mitglied Türkei, bereits seit Längerem (und auch ohne Einladung) mit der Lösung der Kurdenfrage im benachbarten Syrien beschäftigt, wäre übrigens wie die Briten und Amerikaner nicht involviert. - Wie soll man vor dem Hintergrund dieser Fakten die – “erfolgreiche” - Propaganda für noch weiter verstärkte Aufrüstung Anstrengungen im „Westen“ rational deuten? 

Das harmoniebedürftige Gehirn möchte sich gerne mit der optimistischen Vorstellung trösten, dass die wahre Motivation des Großkapitals einfach in noch mehr Einnahmen der Rüstungsindustrie besteht. Doch hat diese Interpretation einen Mangel - dass nämlich die Frage offen bleibt, weshalb es unbedingt die Rüstungsbranche sein muss, über welche die Kapitalisten von Staatsaufträgen profitieren wollen. Auch andere politische Schritte stellen Optimismus auf eine harte Probe. So waren in Deutschland - als Lehre aus der Nazidiktatur - zwei wirksame Barrieren gegen Kriegsvorbereitungen eingerichtet worden, der Artikel 26 des Grundgesetzes und der Paragraph 80 des Strafgesetzbuches – letzterer mit konkreten Strafandrohungen. “Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft”. Dieser Paragraph 80 StGB wurde vom Parlament mit Wirkung zum 01.01.2017 abgeschafft und die psychologische Barriere gegen Militarismus damit - entgegen der klaren Intention des Grundgesetzes - tiefer gelegt. – Auch dieser Vorstoss unterminiert ein Prinzip, in diesem Fall konkret einen Verfassungsgrundsatz - welchem die Instrumente zu seiner konkreten Umsetzung beschnitten werden. 

Wer nach weiteren Beispielen für Verantwortungslosigkeit im tribalistischen “Agentic State” sucht, wird im Bereich Rüstung und Militär in bestürzendem Maße fündig. –  Im Kapitel A 14. “Denkblockaden” wurde bereits eines der hier relevanten Defizite in der aktuellen demokratischen Praxis genannt – nämlich fehlende Qualifikation im Themenbereich Sicherheit:

“Spitzenpolitiker und hohe Militärs, in deren Händen die Entscheidung über Krieg und Frieden liegt, mitunter also über Leben oder Tod von Millionen von Menschen, müssen ..." keinerlei Sicherheitsausbildung vorweisen, welche sie auf ihr hochsensibles Betätigungsfeld vorbereitet. Im Regelfall verfügen sie kaum über Grundkenntnisse auf den hier relevanten Gebieten der Psychologie und biologischen Verhaltenslehre. Dabei sollten umfassende Kenntnisse dieser Wissenschaften mit besonderer Vertiefung auf dem Gebiet der Entstehung von Gewaltbereitschaft und psychologischen Abwehrmechanismen (Anna Freud) eine Zugangsvoraussetzung für politische und juristische Ämter darstellen”.

Ein zweites, und zwar gravierendes,  Defizit besteht hinsichtlich der demokratischen Möglichkeiten, die Vertrauenswürdigkeit der gewählten Repräsentanten sowie auch speziell aller Führungskräfte in den Bereichen innere und äussere Sicherheit wirksam überprüfen zu können (Genaueres in Kapitel A 27. “Freiheitliche Demokratie …).

Dass diese schon viel zu lange vor sich hergeschobenen demokratischen Defizite in den “westlichen” Ländern inzwischen absolut existenzbedrohliche Sicherheitsrisiken nach sich ziehen, wird spätestens in Kapitel A 31. klar.