A 19
Leninismus und Stalinismus

Die Irrtümer von W. I. Lenin und J. Stalin bei der behaupteten, aber nicht authentischen Umsetzung der Philosophie von Karl Marx haben große Teile der Menschheit ins Verderben geführt, die Gesamtzahl der Todesopfer der Russischen Oktoberrevolution (1917) unter Lenin und Trotzki, der sowjetischen Diktatur unter Stalin sowie Dutzender von Nachahmer Experimenten in aller Welt wird auf bis zu 100 Millionen geschätzt. 

Doch selbst jetzt noch, lange nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion (1991) wird fälschlich von einem Marxismus-Leninismus gesprochen. Dabei stellt dieses Doppelwort auch einen doppelten Etikettenschwindel dar: Die Wortschöpfung stammt von Stalin, mit der dieser jedoch sein eigenes diktatorisches System benannte, in Wahrheit also den Stalinismus. Vor allem aber konnte sich sein Vorgänger Lenin, obwohl er sich selbst als Marxist bezeichnete, bei seiner blutigen Revolution im industriell wenig entwickelten Russland und bei der Einrichtung einer brutalen Funktionärs-Diktatur niemals legitimer Weise auf Marx berufen. Korrekt ist vielmehr von Leninismus zu sprechen, welcher im Stalinismus eine weitere Steigerung erfuhr.

Karl Marx hatte wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass der Übergang der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsform in ein Nachfolgesystem historisch vorgegeben und unausweichlich ist. Unausweichlich steht jedoch für einen vorausgegangenen Reifungsprozess, nach dessen Abschluss die Macht an vorherbestimmte andere gesellschaftliche Kräfte übergeht, diesen gewissermaßen in den Schoss fällt. Dass Marx sich den Übergang nicht ganz ohne Gewaltanwendung vorstellen konnte und verschiedentlich den Begriff Revolution gebrauchte, erklärt sich im Wesentlichen historisch, indem sich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen überwiegend als gewaltsame Umstürze vollzogen haben. Ausdrücklich hat Marx stets klargestellt, dass die Ablösung des Kapitalismus ein bestimmtes Entwicklungsniveau der Wirtschaft zur Voraussetzung hat:

„Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind.“/ Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. MEW 13:9

Die Weiterentwicklung der Produktivkräfte, also (namentlich) der technische Fortschritt in den Produktionsverfahren, wird damit als ein - nicht zu störenderProzess erkannt, der sich unter den alten gesellschaftlichen Eigentums- und Verfügungsbedingungen so lange fortsetzt, bis diese alten gesellschaftlichen Bedingungen den weiteren Fortschritt behindern - also bis zu dem Entwicklungsniveau, für welches „sie (die Gesellschaftsformation) weit genug (entwickelt) ist“.

Die Fortsetzung des Zitats im nächsten Satz macht deutlich, dass Marx darauf vertraute, dass dieser technische Entwicklungsprozess abgewartet wird, weil man sich sonst in einen Bereich außerhalb lösbarer Aufgaben begibt:

„Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind.“ Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. MEW 13:9

Die materiellen Bedingungen  (der produktionstechnische sowie arbeitsorganisatorische Entwicklungsstand) liefern bei Erreichen eines gewissen Niveaus bereits die Lösungsmöglichkeiten für die Veränderungen auf der gesellschaftlichen Ebene, also hinsichtlich der Eigentums- und Verfügungsbedingungen. Diese Lösungen liegen dann gewissermaßen auf der Hand, wenn der Reifungsprozess der produktionstechnischen und arbeitsorganisatorischen Bedingungen entsprechend weit genug fortgeschritten ist. Vor Erreichen dieses Reifestadiums der „materiellen Bedingungen,“ „entspringt“ keine (historische) „Aufgabe“, an den gesellschaftlichen Strukturen etwas zu ändern.

Nach den von Marx formulierten Maßstäben befand sich das erst in industriellen Anfängen steckende Russland der Oktoberrevolution unter Lenin noch auf einem Entwicklungsstand, bei dem an eine Anwendung marxscher Theorien überhaupt nicht gedacht werden konnte. Namentlich konnte von einer „Beherrschung des Landes durch Kapitalisten“ keine Rede sein.

Lenin hatte mithin eine „Aufgabe“ in Angriff genommen, für welche die „materiellen Bedingungen ihrer Lösung“ noch in keiner Weise „vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen“ waren. So etwas nennt man mit einem verharmlosenden Wort Aktionismus, mit einem neutralen Urteil Verantwortungslosigkeit und in Anbetracht der Brutalität, in welcher sich diese Verantwortungslosigkeit entfaltete, eines der größten Verbrechen der Geschichte. 

Einmal losgetreten, erforderten die Revolution und die mit ihr einhergehende Folgeaufgabe, eine neue politische und Gesellschaftsordnung einzurichten, Lösungen, während die „materiellen Bedingungen“ dafür noch keine klaren Anhaltspunkte bieten konnten.

Einmal losgetreten, brachte die Revolution die Aufgabe mit sich, eine neue politische und Gesellschaftsordnung einzurichten, während die „materiellen Bedingungen“ dafür noch keine klaren Anhaltspunkte bieten konnten.

Entsprechend war das, was Lenin und seine bolschewistischen Mit Revolutionäre in Russland praktizierten, vor allem von drei „Strategien“ geprägt, erstens dem von ihm selbst ersonnenen „demokratischen Zentralismus“ als Instrument der strukturellen Beherrschung des Landes, zweitens dem Steinzeit Konzept Versuch und Irrtum, und drittens physischer Gewalt. – Alle drei Ansätze zeigen das Fehlen eines realitätsbasierten Gedankengebäudes, welches für jede grundsätzliche Frage eine aus einem definierten Prinzip begründete Antwort geliefert hätte - unter Begrenzung jede Art von Gewalt auf ein absolutes, nur der Aufrechterhaltung der Ordnung dienendes Minimum. Lösungen für etwaige Spannungen und Widersprüche hätten so bereits „auf der Hand gelegen“, sich von selbst angeboten und wären damit auf breite Akzeptanz gestoßen.

Lässt man den gesondert zu betrachtenden marxschen Gedanken einer „Diktatur des Proletariats“ (welches nur als Übergangsphase gemeint war) ausser Betracht, so war das Bild der neuen Gesellschaft bei Karl Marx Stets an den Prinzipien Freiheit und Demokratie ausgerichtet, weit entfernt von doktrinärer Starrheit. „Es ist Aufgabe der Internationalen Arbeiterassoziation, die spontanen Bewegungen der Arbeiterklasse zu vereinigen und zu verallgemeinern, doch nicht, ihnen irgendein doktrinäres System zu diktieren oder aufzudrängen.“ / Karl Marx, Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen, 1866, MEW 16, S. 195

Lenin hingegen etablierte die Einparteienherrschaft der Kommunistischen Partei als Gesellschaftskonzept. Der hierarchisch aufgebaute Parteiapparat war dem Prinzip des sogenannten demokratischen Zentralismus unterworfen. Dessen demokratischer Anspruch basierte auf der Rechenschaftspflicht (Folge dieser Worthülse: endlose Reden) der übergeordneten Gremien sowie auf Wahlen für die personelle Besetzung. In der Praxis waren die Kandidaten jedoch bereits von oben vorselektiert, so dass Wahlergebnisse keinerlei Bedeutung für die politische Richtung hatten. In diesem Modell von „Demokratie“ hatte die breite Masse der Bevölkerung so wenig zu sagen wie zuvor im Zarenreich. Im System der hierarchisch gestaffelten politischen Gremien liefen die Entscheidungen stets von oben nach unten. Abweichler von der verkündigten Linie hatten es schwer: „The best way to control the opposition is to lead it ourselves.“ Die beste Art, die Opposition zu kontrollieren ist, wenn wir sie selbst führen. Vladimir Lenin / Referenz: https://beruhmte-zitate.de/autoren/lenin/?page=6

Sogenannte “Parteisäuberungen“ zeigten dann, worauf eine solche Kontrolle von Oppositionellen letztlich hinausläuft. Stalin „verfeinerte“ das System später, indem er meinen Abweichler u.a. in geschlossene psychiatrische Anstalten einweisen ließ.

Wie allen Machtstrukturen wohnte auch dieser festgefügten Hierarchie in Staat und Partei die automatische Tendenz zur Machtkonzentration an der Spitze inne, welche in die jahrzehntelange Diktatur Stalins (von 1923 bis 1956) einmündende. Zahllose leninistische Nachahmer in aller Welt gingen einen ähnlichen Weg in die Diktatur, u.a. Mao in China, Pol Pot in Kambodscha, Fidel Castro in Kuba und die Kim-Dynastie in Nordkorea. 

In Russland zur Zeit der Revolution gab es wenig Industrie und noch weniger Großindustrie und Kapitalisten, die man hätte enteignen können. Es blieben einige Großgrundbesitzer, während ansonsten kleine und mittlere Bauernhöfe die Besitzstruktur prägten. Bezüglich der Verfügung über Landwirtschaftsflächen hatte Marx laut „Kommunistischem Manifest“ vorgesehen, dass der Pachtzins, den Landpächter an Großgrundbesitzer zu zahlen hatten, zukünftig an die Gesellschaft, also an den Staat gehen sollte. 

Folglich gab es im Russland von 1917 für eine ausdrücklich gegen den Kapitalismus gerichtete Bewegung nur äußerst begrenzte Möglichkeiten für konstruktive Veränderungen – die in Ermangelung starker Gegenkräfte auch niemals den Charakter einer großangelegten Revolution hätte haben müssen. Umso mehr gab es Möglichkeiten der Zerstörung von kleinen selbständigen Existenzen, sinnvollen Ordnungsstrukturen und von Menschenleben.

Dementsprechend brachte Lenin eine Politik der strukturellen und physischen Gewalt gegen selbständige Bauern in Gang, welche sich unter seinem Nachfolger Stalin zu breit angelegten Exzessen steigerte. Eine der Anweisungen Lenins lautete: „The uprising of the five kulak districts should be mercilessly suppressed… Hang (hang without fail, so the people see) no fewer than one hundred kulaks, rich men, bloodsuckers... Do it in such a way that for hundreds of versts [km] around, the people will see, tremble, know, shout: they are strangling and will strangle to death the bloodsucker kulaks.“ - Der Aufstand der fünf Kulaken Distrikte soll gnadenlos niedergeschlagen werden… Hängt (unbedingt, so dass die Leute es sehen) nicht weniger als einhundert Kulaken, reiche Männer, Blutsauger… Tut es auf solche Weise, dass die Leute sie im Umkreis von Hunderten von km sehen, zittern und rufen: Sie hängen und werden bis zum Tod hängen, die blutsaugenden Kulaken.  - Vladimir Lenin As quoted in Richard Pipes, The Unknown Lenin: From the Secret Archive (1996), page 50.R

Der Ausdruck Kulak war in Russland traditionell ein Schimpfwort für solche Bauern, die sich unfair zu Lasten anderer Dorfbewohner Vorteile herausgeschlagen hatten. Etwa konnte jemand die Notlage eines Nachbarn dazu ausgenutzt haben, dieses einen Grenzstreifen Land weit unter Marktwert abzukaufen.

Dieser negativ behaftete, stigmatisierte Ausdruck wurde von Lenin und Stalin gezielt dazu missbraucht, gegen mittelständische Bauern Stimmung zu machen. Die Abgrenzung zu Kleinbauern zeichnete sich durch zwei Merkmale aus, sie wurde nie einheitlich definiert, war also willkürlich und sie wurde im Laufe der Zeit Immer weiter nach unten verschoben, so dass am Ende selbst solche Bauern als Kulaken verunglimpft, verfolgt, enteignet, in unwirtliche Gebiete verschleppt und vielfach getötet wurden, welche nach normalen Maßstäben als ziemlich arm einzuschätzen waren (indem sie z. B. 3 Kühe besaßen).

Die im Wesentlichen in drei Schüben ablaufenden Verfolgungen der mittelständischen Bauern hatten zusätzlich große Hungersnöte mit etwa 6 Millionen Todesopfern zur Folge.

Die Oktoberrevolution und die gesamte Sowjetzeit bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991 erscheint im Rückblick wie ein schlecht inszenierter Film – oder eher wie eine künstlich inszenierte Realität: Die von den marxschen abweichenden Ideen Lenins waren nämlich, da in Buchform bereits 1901 veröffentlicht, in politisch informierten Kreisen der zivilisierten Welt bekannt. Entsprechend war dieser bekennende russische Revolutionär als politisches Werkzeug für das geeignet, was er dann auch umsetzte, nämlich Russland durch einen blutigen Umsturz zu destabilisieren und als Macht zu paralysieren.

Es gab zwei Parteien außerhalb Russlands, die Interesse an einer solchen radikalen Wendung hatten. Das war zum einen und leicht erklärbar das Bündnis Deutschland-Österreich, welches sich im Krieg gegen Russland, Großbritannien und Frankreich befand und auf Entlastung an der Ostfront hoffte. Dass auch Kapitalisten Kreise ein offenkundiges Interesse an dem revolutionären Unternehmen Lenins entwickelt hatten, mutet auf den ersten Blick absurd an, doch - ein nicht russisches Bankhaus bekannten Namens finanzierte die Oktoberrevolution. – Unabhängig von den Motiven bleibt zunächst festzuhalten, dass durch dieses Engagement vor über 100 Jahren eine historische Mitverantwortung der kapitalistischen Geld Dynastien für die gigantischen, weltpolitisch desaströsen Folgen der Oktoberrevolution besteht. 

Der als „realer Sozialismus“ oder Marxismus-Leninismus bezeichnete Leninismus erwies sich als ein problematisches System, dessen wirtschaftliche Effizienz sogar der Mixed Economy, also der kapitalistisch parasitieren Marktwirtschaft, klar unterlegen war – mit folgenden prinzipiellen Mängeln:

  • schwerfällige Planwirtschaft mit willkürlichen, nicht am Markt entstandenen Preisen

  • Ersatz der eigenverantwortlichen und  fachkompetenten Unternehmer durch Funktionäre

  • Unzureichende Anreize für Leistung

  • statt Emanzipation des Proletariats für einen Aufstieg in den Mittelstand Proletarisierung des Mittelstandes durch Zerstörung seiner selbständigen Existenzen

  • keinerlei Möglichkeiten zur Umsetzung eigener kreativer Ideen durch eine Betriebsneugründung

Namentlich die letzten beiden Nachteile hatten zur Folge, dass sich keine hinreichende technologische Innovationskraft entwickeln konnte.

So hatten die Menschen, die zwischen 1917 und 1991 „im freien Westen“ lebten, stets den Vergleich zwischen ihrem System und dem Leninismus vor Augen. Mit dieser zumindest im Ansatz absichtlich in Szene gesetzten Kulissen Welt eines unfähigen Antikapitalismus (genannt Kommunismus, „Marxismus-Leninismus“ oder realer Sozialismus) im Hintergrund konnten die großen Kapitalisten ungestört an der Weiterentwicklung ihrer Machtstrukturen „arbeiten“. – Dazu gehörte es auch, der Bezeichnung „Kapitalismus“ ein positives Image geben, was namentlich dadurch gelang, dass man Kapitalismus und Marktwirtschaft propagandistisch gleichsetzen. Das hatte zur Folge, dass die Menschen den im Vergleich zu den sozialistischen Ländern höheren Lebensstandard, welchen sie tatsächlich allein dem freien Markt zu verdanken hatten, dem Kapitalismus zugeschrieben. So blieb die Tatsache ausserhalb ihres Bewusstseins, dass es sich bei letzterem lediglich um die habgierige, auf unfairen Extra Vorteilen basierende und die Marktgesetze umgehende Seite der realen „Mixed Economy“, der gemischten Wirtschaft in den „westlichen Ländern“ handelt. Dieses Bewusstsein jetzt nachträglich durch Aufklärung herzustellen ist die Voraussetzung dafür, zu den Prinzipien der Fairness einer wirklich freien Marktwirtschaft zurückzufinden und  die formalistisch erstarrte freiheitlich-demokratische Identität in authentischer Form wiederzubeleben,