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Kapital II - Verstorbene Arbeit

Diese ganz andere Verwendung und Zweckbestimmung von Kapital hatte Karl Marx im Auge, als er schrieb: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist die lebendige Arbeit nur ein Mittel, die aufgehäufte Arbeit zu vermehren. "In der kommunistischen Gesellschaft ist die aufgehäufte Arbeit nur ein Mittel, um den Lebensprozess der Arbeiter zu erweitern, zu verbessern und zu fördern." Karl Marx, Manifest der Kommunistischen Partei, I. Marx/Engels, MEW 4, S. 476, 1848Referenz: https://beruhmte-zitate.de/autoren/karl-marx/ Von dem Begriff „kommunistisch“ soll sich der bürgerliche Leser deshalb nicht schrecken lassen, weil dessen Bedeutung bei Marx  wenig Bezug zu dem hat, was im „realen Sozialismus“ Lenins und seiner Nachahmer in den diversen sozialistischen Ländern praktiziert wurde. In den Schriften von Marx steht „Kommunismus“ nicht für ein definiertes, fertiges Konzept, sondern für eine Bewegung, welche die kapitalistischen Zustände überwindet. / - Vgl. Die deutsche Ideologie. Marx/Engels, MEW 3, S. 35, 1846/1932

Aus verschiedenen marxschen Textstellen kann man jedoch eine Reihe von Eigenschaften der anzustrebenden Form des miteinander Lebens herausfiltern. Danach soll diese in erster Linie frei  sein - namentlich frei von jeder Art undemokratischer Beherrschung durch einen privilegierten Machtzirkel

Im obigen Zitat beleuchtet Marx die gesellschaftliche Rolle des Kapitals aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen - derjenigen der (zu seiner Zeit noch als bürgerlich eingestuften) Kapitalisten und derjenigen der Arbeiter.

Dabei verwendet er für Produktionsmittel wie Werkzeuge, Maschinen und Fabrikgebäude den Begriff „aufgehäufte Arbeit“ - eine sehr passende Metapher, denn für jedem Schritt der technischen Entwicklung musste Arbeit investiert werden, nicht zuletzt geistige Arbeit der Erfinder, Ingenieure und Entwickler.  Diese auf Arbeit gegründete Herkunft der  Produktionsmittel  nutzt Marx – an dieser Stelle unausgesprochen - als eigentliche moralische Rechtfertigung für seine Forderung, dass es die Arbeiter sind, denen diese „aufgehäufte Arbeit“ zusteht, zumal sie damit  ihren „Lebensprozess ... erweitern, ... bereichern, (und) ... befördern.“ Dementsprechend wird der moralische Anspruch der Werkeigentümer auf dieses Eigentum verneint.

Hat man hierbei einen engagierten mittelständischen Unternehmer vor Augen, der seine Firma aus einem Handwerksbetrieb aufgebaut hat, sich eine 60-Stundenwoche zumutet, in allen Belangen Verantwortung trägt und das Unternehmen mit Stolz als sein Lebenswerk betrachtet, ist der von Marx reklamierte Anspruch der Arbeitnehmer an den Produktionsmitteln ihrer Beschäftigungsbetriebe ohne Einschränkung zurückweisen.

Denn wie vier Sätze weiter oben bereits betont, wurzelt die Herkunft der Produktionsmittel zwar sehr wohl in Arbeit, die „für jeden Schritt der technischen Entwicklung" investiert werden musste, jedoch in allererster Linie geistige Arbeit der Erfinder, Ingenieure und Entwickler. Und gerade bei kleinen Unternehmen hat sehr oft der Unternehmer selbst die Rolle desjenigen inne, der einen guten Teil dieser geistigen Arbeit leistet.

Im o.g. Zitat und allgemein in den Betrachtungen von Marx geht es allerdings nicht um diesen kreativen – tatsächlichen - Unternehmer, sondern um den reichen Investor, der sein Geld „arbeiten lässt“, während er selbst keine produktive Arbeit einbringt, weder organisatorisch, noch kaufmännisch, noch technisch-innovativ. An anderer Stelle verwendet Marx auch die Metapher „verstorbene Arbeit“, wenn er von dieser Art Kapital redet: „Das Kapital ist verstorben Arbeit, die sich nur vampir mäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt." - Das Kapital. Band 1. Dritter Abschnitt: Die Produktion des absoluten Mehrwerts. MEW 23, S. 247, 1867

Das Prinzip, sich als Investor arbeitsfreie Einnahmen verschaffen zu können, zieht eine Reihe lösungsbedürftiger gesellschaftlicher Probleme nach sich: - 1. Arbeitsfreie Einnahmen wachsen rascher als Arbeitseinkommen, zu arbeiten lohnt sich immer weniger. 2. Da Reiche den allergrössten Teil ihrer Einkünfte für neue Investitionen übrig haben, wächst der Abstand zu Ärmeren, welche fast alle Einnahmen für den Lebensunterhalt aufbrauchen. 3. Der Reichtum bringt ab gewissen Größenordnungen politische Macht mit sich. 4. Investitionen fließen oft in Projekte, die nicht nach objektiver Nützlichkeit oder ideell gestalterischen Kriterien geplant werden, sondern ausschließlich nach zu erwartender Rendite. 5. Die ersatzweise Vertretung dieser gesellschaftlichen Belange durch die Bauaufsichtsbehörden funktioniert deshalb nur extrem eingeschränkt, weil Investoren seit vielen Generationen ein sehr überzeugendes Argument parat haben, um zögernde Beamte zu überzeugen – Geld (siehe Kapitel A 10. „Projekte“). 

Es gilt daher die beiden in ihrer Zweckbestimmung und Verwendung so grundverschiedenen Verwendungsarten von Kapital sorgfältig auseinanderzuhalten – die Kreativitätsmittel und die verstorbene Arbeit, mit anderen Worten das Kapital in der Hand des tatsächlichen Unternehmers und das Kapital in der Hand des nicht arbeitenden, reichen Investors. Mit dem Wachstum eines kleinen Unternehmens kann die erstere Form allmählich in die zweite übergehen, Ausdruck eines dynamischen Systems mit nachrückenden  Startups.

Wie zwischen Kreativitätsmitteln und verstorbener Arbeit existieren auch zwischen den zugehörigen Typen von Unternehmern Übergangsformen. In jedem Menschen stecken - natürlich mit individuellen Unterschieden - zugleich mehrere charakterliche Neigungen und Tendenzen, welche je nach Schicksal und Möglichkeiten im Lebensverlauf zur Entfaltung gelangen. So kann sich auch ein weniger ehrgeiziger Unternehmer nach einer sehr aktiven Phase ganz aus den betrieblichen Arbeitsprozessen zurückziehen, die Leitung an einen Manager abgeben, die Produktentwicklung angestellten Ingenieuren übertragen und die Verbesserung der Produktionsabläufe einem Experten für Implementierung von IT-Systemen. 

In der nächsten Generation bestehen wieder dieselben Alternativen und je nach persönlicher Neigung wird sich mancher Unternehmenserbe mit Schwung dem Erhalt und weiteren Ausbau der Firma zuwenden, vorher Ingenieurwissenschaften oder Betriebswirtschaft studieren und eine parallele praktische Lehre absolvieren. Oder der Betreffende kann der Verlockung erliegen, die Berufskarriere eines Taugenichts einzuschlagen und sich ganz dem Konsum zu widmen.

Das Kriterium der Arbeitsfreiheit allein ist jedoch nicht hinreichend, um diese Form von Einnahmen pauschal als parasitär anzusehen. Beispielsweise kann sich ein sparsamer Bürger ein paar Aktien besorgen, welche ihm laufende Dividenden (Gewinnausschüttungen) einbringen. Gegenüber demjenigen, der sein Geld alternativ für kurzlebige Konsumgüter ausgegeben hat, kann man bei dem Sparsamen von absolut verdienten Zusatzeinnahmen reden.

Grundsätzlich sind auch dem untüchtigen Erben seine arbeitsfreien Bezüge deshalb zuzubilligen, weil Vor- und Fürsorgeverhalten zugunsten der eigenen Kinder und Enkel eine meistens stark ausgeprägte natürliche Neigung darstellt: Die Motivation, unter Einbringung von viel Lebenskraft einen Betrieb aufzubauen, rührt zum gar nicht geringen Teil aus eben dieser Neigung, für die eigenen Nachkommen zu sorgen, im Idealfall also eine gesicherte Existenz aufzubauen und als Erbe zu hinterlassen. 

Historische Beispiele haben zur Genüge gezeigt, dass ein großes wirtschaftliches Potenzial automatisch eine entsprechende Macht Ansammlung nach sich zieht. Es gehört daher zu den vorrangigen Zielen einer ausgewogenen (Steuer-) Politik, ein Anwachsen solcher lediglich durch Erbe zugefallener, aber nicht durch eigenen dynamischen Arbeitseinsatz weiterentwickelter Vermögen (verstorbener Arbeit) zu verhindern – wie die historische Erfahrung dick unterstreicht: 

In den zurückliegenden ca. 250 Jahren seit Beginn der technischen Zivilisation ist eine Limitierung ererbten Kapitals auf ganzer Linie misslungen, vielmehr konnten sich regelrechte Gelddynastien entwickeln, deren Vermögen so gewaltig angewachsen sind, dass der amerikanische Gesellschaftskritiker Noam Chomsky (*1928) zu Recht von „the men who own the society“ spricht, den Personen, denen die Gesellschaft gehört.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen wären noch überschaubar, wenn die Verfügung über solche riesigen Vermögen nicht von politischer Macht begleitet wäre. Die Kopplung ist psychologisch leicht verständlich – im Reich der faktisch unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten sucht man ganz automatisch immer weitere Stufen der Absicherung – zuerst gegen alltägliche Risiken, wie sie auch der Normalbürger bei der Versicherungsbranche abzudecken sucht, jenseits davon aber gegen alle denkbaren politischen Widerstände. Soweit es dabei lediglich um den Schutz privater Angelegenheiten ginge, gäbe es bis zu diesem Punkt keine gravierenden Auswirkungen auf das gesellschaftliche Miteinander. Gewissermaßen könnte man diesen  Status als paradiesischen Gipfelpunkt ansehen, als wahr gewordenen amerikanischen Traum und Märchenwelt für die Regenbogenpresse.

Aber nein, querbeet die gesamte Presse und übrige Medienlandschaft weiss nichts von den Mitgliedern der großen Gelddynastien zu berichten, keine Bilder, keine Namen, keine Interviews. Aber auch das ist gut nachvollziehbar - wenn Familienclans nicht nur über eine Zeitschrift, sondern über ganze Ketten von Zeitschriften und deren Verlage verfügen, dazu über Fernseh- und Rundfunksender sowie obendrein Einfluss auf Nachrichtenagenturen haben – dann ist eine der sich aufdrängenden Optionen, sich selbst zum Schutz der Privatsphäre von der Liste der Zielpersonen der Berichterstattung zu streichen. Dieser Schutz vor neugierigen Mitmenschen funktioniert besonders wirkungsvoll per Ablenkung, wenn nämlich Heerscharen von Vertretern des Establishments aus Politik, Sport, Musik, Film und Jetset zusammen mit den zum Glück machtlosen Resten der Adelsdynastien in bunten Bildern präsentiert werden. Während die ewig jungen Helden der Comic-Serien zunehmend real erscheinen und als Unsterbliche quasi eine konstante gesellschaftliche Größe repräsentieren, kommen und gehen alle realen menschlichen Figuren wie die Akteure in einem kurzweiligen, bunten Sommertheater. Natürlich macht es auch Sinn, dass die Theaterstücke, die da gespielt werden, wenig Realitätsbezug bieten – weil wirkliche Erkenntnisse und Einsichten auf Seiten der Zuschauer, der einfachen Bürger und Medienkonsumenten, den Schutzinteressen der superreichen Geldaristokraten zuwider laufen würden – so jedenfalls meinen letztere – und irren sich damit fundamental - siehe auch Kapitel A 30. „Widersprüche“ und Anhang C 5. „Einstimmung auf den UN-Weltstaat“  jeweils am Schluss.