A 33
Dauerhafte Bewahrung der Freiheit 

Die amerikanischen Gründerväter wussten um die Verwundbarkeit ihres freiheitlichen Konzepts und gaben ihm daher mit einer auf klaren Prinzipien beruhenden Verfassung so viel Stabilität auf den Weg wie nur möglich. Doch bleibt jedes geschriebene Wort wirkungslos, wenn es nicht fest im klaren Bewusstsein der Menschen verankert und konsistent gelebt wird. Zu Recht warnte der 2. Präsident der USA, John Adams: “Avarice [greed], ambition, revenge, or gallantry [debauchery], would break the strongest cords of our Constitution as a whale goes through a net. Our Constitution was made only for moral and religious people. "It is wholly inadequate to the government of any other"..." – Habgier, Ehrgeiz, Rache oder Liederlichkeit würden die stärksten Seile unserer Verfassung zerreißen, wie ein Wal durch ein Netz geht. Unsere Verfassung wurde ausschließlich für moralisch integre und gläubige Menschen  geschaffen. Sie ist völlig ungeeignet, um irgendwelche anderen zu regieren. / John Adams, 2nd President, Referenz: http://famguardian1.org/Subjects/Taxes/Evidence/HowScCorruptOurRepubGovt.htm

John Adams‘ Warnung geriet in Vergessenheit. Die zunehmende Vernachlässigung und Verfälschung der Freiheit, der Demokratie und der Marktwirtschaft durch die inoffizielle Allianz zwischen Staat und Kapitalisten hat mehr und mehr vom weitgehend harmonischen, faire Chancen bietenden Gesellschaftskonzept der frühen Epoche der USA weggeführt. Als Ironie der Geschichte muss eine in die Zukunft projizierte Fortsetzung der Entwicklung irgendwann auf dieselbe Sklaverei hinauslaufen, deren klare Verfassungswidrigkeit man in den Gründungsjahrzehnten nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Die heutige Ursache ist auch dieselbe wie die damalige - Hypokrisie - also die unterschiedliche Wahrnehmung derselben Erscheinung, je nachdem, welcher Person oder Personengruppe ihr ausgesetzt ist. 

Für die USA bestehen die gnadenlosen historischen Konsequenzen der Hypokrisie in zunehmender Erosion von Rechtsprinzipien und Freiheitsrechten sowie in rückläufigen Möglichkeiten für die einfachen Bürger, mittels Fleiss und konstruktiver Initiative aufzusteigen. Dieses Phänomen reiht sich historisch bündig in den altbekannten chaotischen Wechsel aus Befreiung und Unterwerfung ein. - Um aus diesem blutigen Zyklus ausbrechen zu können, müssen zunächst seine Ursachen erkannt werden. 

Hinter Unterwerfung steckt das Prinzip Macht, das sich schlagartig oder schleichend Zutritt verschafft, oft herbei gelockt vom Wunsch der Bürger nach starker Führung in Zeiten der äußeren Bedrängnis. Macht ihrerseits unterliegt dem Gesetz der Selbstverstärkung, indem sie den Weg zu weiterer Macht öffnet. 

Eine solche episodisch in zuvor freiheitliche Entwicklungen einbrechende unkontrollierte Machtentfaltung kann jedoch trotz ihrer Selbstverstärkung nicht zu stabilen Formen des menschlichen Zusammenlebens führen. Vielmehr erweisen sich Episoden und Epochen der gewaltsamen Unterdrückung als Störfälle in der Evolution gesellschaftlicher Organisationsformen. Wie jede Evolution untersteht diese dem Gesetz, dass für eine vom Leben und den Bedingungen der Umwelt gestellte konkrete Aufgabe irgendwann unweigerlich die annähernd effektivste Lösung realisiert wird. Dass diese alternativlos in Freiheit und Demokratie liegt, sah auch Karl Marx so: “ / Es versteht sich übrigens von selbst, dass alle Staatsformen zu ihrer Wahrheit die Demokratie haben und daher eben, soweit sie nicht die Demokratie sind, unwahr sind”. Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechts-Philosophie, 1843-1844. Kritik des Hegelschen Staatsrechts (§ 279)

Kein noch so weiter und blutiger historischer Umweg führt am unausweichlichen Resultat einer freiheitlichen - und das bedeutet auch fair-marktwirtschaftlichen - Gesellschaftsform mit demokratischen Mechanismen vorbei. Allein Freiheit ermöglicht die volle Entfaltung des Verstandes und der technischen Innovationskraft aller Individuen, wodurch andere, repressiv und diskriminierend organisierte Gesellschaften überholt und deklassiert werden – bis im Zuge eines historischen Störfalls erneut eine Machtkonzentration in der Hand weniger Privilegierter stattfindet und den Fortschritt bremst.

Die endgültige Abschaffung unkontrollierter Macht und damit die dauerhafte Stabilisierung der Freiheit stellt somit eine - gleichfalls historisch unausweichliche - Aufgabe dar. – Der Realisierung steht zwar nur ein einziges, jedoch unauslöschbar gültiges Gesetz entgegen, das der Selbstverstärkung der Macht dient. Auch die demokratischste Verfassung und die perfekteste Gewaltenteilung kann dieses Gesetz nicht außer Kraft setzen.

Einen Ausweg kann folglich ausschließlich eine Lösung bieten, die dieses Gesetz der unaufhörlichen Machterweiterung respektiert und integriert. – Das bedeutet, dass absolut kein Weg daran vorbeiführt, dieses Gesetz zum Vorteil der freien Nation nutzbar zu machen. Das aber erfordert die stetige Machterweiterung der Nation zu Lasten ihrer politischen Vertreter. In der praktischen Umsetzung heißt das namentlich, dass die Kontrolle von Amtsinhabern unablässig zu optimieren ist, so dass Spielräume für Machtentfaltung abseits fairer Qualifikation stets auf dem niedrigstmöglichen Niveau gehalten werden.

Zwecks Stabilisierung der Freiheit bedürfen freiheitliche Verfassungen daher eines Amendments = einer Erweiterung, in welcher das Prinzip der unablässigen Optimierung der Demokratie verankert wird. Die moralische Rechtfertigung dieser demokratischen Überlebensstrategie in Zweifel zu ziehen würde bedeuten, das Grundrecht auf Notwehr zu bestreiten, denn außer demokratische Machtansprüche stellen einen Angriff auf die friedliche Nation dar und in der Konsequenz auf die Überlebenschancen der Menschheit insgesamt.

Dass das Prinzip der sich perfektionierten Demokratie die exakte Lösung darstellt, bestätigt auch die vorauseilende Gegenpropaganda der Medien – mit Bezeichnungen wie „radical constitutionalists" oder „radical democrats“ für solche Menschen, die für die überfällige Fortentwicklung des demokratischen Staates eintreten. 

Wie bereits an anderer Stelle betont, besteht ein wesentliches Gebot beim Systemübergang in eine stabilisierte Demokratie und in eine von Manipulation befreite Marktwirtschaft darin, bei allen Schritten ruhig, fair und hypokrisiefrei vorzugehen, und sich nicht von unaufgeklärten Mitläufern des kapitalistischen Systems zu tribalistischen Gewaltaktionen verleiten zu lassen. – Harmonie hat Vorrang.. Das schließt auch die Bewahrung aller bestehenden Strukturen und Regelungen ein - bis zu deren schrittweisem Ersatz durch  fairere. 

Oberste Priorität haben

  • die Sicherstellung eines freien Journalismus und generell der freien Meinungsäusserung
  • die Einführung einer Verantwortungsgerichtsbarkeit und Wahl von Volkstribunen
  • die Gewährleistung des Prinzips des verdienten Vertrauens in Politik, Geheimdiensten und im Gesundheitswesen
  • die Abschaffung der inoffiziellen Macht des Geldes 
  • die Sanierung der Staatshaushalte, u.a. durch einmalige Steuer auf Riesenvermögen
  • Eine verbindliche Demokratisierung und Gewährleistung von interner und externer Transparenz aller Vereine, Verbände, Logen und sonstigen Gesellschaften.
  • Zutrittsrecht von Journalisten (bei realistischer Anzahlbegrenzung) zu sämtlichen Versammlungen und Gesprächsrunden zu Themen öffentlichen Interesses  

Paradoxerweise liegt ein umgehender Eintritt in die Epoche der dauerhaft gesicherten freiheitlichen Demokratie im ganz besonderen Interesse der Kapitalisten selbst. Ihr System der Manipulation, welches die Nationen ihres Einflusses hinter anderen, dagegen resistenten weit zurückfallen lässt, kann sich historisch bzw. in der Evolution der gesellschaftlichen Organisationsformen auch in aller Zukunft niemals dauerhaft behaupten – siehe auch Kapitel B 8. Der für sie alternativlos korrekte Weg wird im Kapitel B 7 erläutert. Er führt über eine nachholende Integration der Angehörigen der Gelddynastien in ihre „westlichen“ Gesellschaften. Um in diesen Prozess eintreten zu können, ist vorab eine ungeschönt realistische Selbstwahrnehmung erforderlich, entsprechend der Beobachtung im Kapitel A 30. „Widersprüche“: „Weiterhin offenbaren die Aktionen der Kapitalisten wie auch die Zielrichtung ihrer Propaganda ... eine fehlende Bereitschaft, authentische Verantwortung zu tragen. Überhaupt ist substanzielle gesellschaftliche Solidarität gegenüber ihren „westlichen“  Nationen zu vermissen, was ... zum Mangel an Wertschätzung und Achtung ... passt“.

Erst aus der so korrigierten, von Hypokrisie befreiten Perspektive können die Betreffenden im Bewusstsein ihrer Verantwortung die solidarische Neuprogrammierung vollziehen und eine neue, ihrem Begabungspotenzial angemessene gesellschaftliche Rolle finden. Dieses Bewegungspotential wiegt doppelt, indem es von desintegrierenden Beschäftigungen abgezogen und dafür konstruktiven zugeführt werden kann – wo es sich im neu entdeckten authentischen Autonomous State endlich frei entfalten kann.

Nur die solidarische Einbettung in die demokratische Gesellschaft stellt sicher, dass diese neue Rolle - im Unterschied zu derjenigen als inoffizielle Herrscher – nachhaltigen Bestand hat. Große private Vermögen stehen in keinem prinzipiellen Widerspruch zur freiheitlichen Demokratie, machen aber zwingend besondere, im Laufe der weiteren Entwicklung laufend anzupassende Kontrollmechanismen erforderlich, um, wie im Kapitel „Kapital II – Verstorbene Arbeit” herausgestellt,eine überdimensionale Vermögensakkumulation in den Händen weniger Familienclans dauerhaft zu verhindern

Als Wachstumsprozess hat Akkumulation in den Händen von Familienclans erstens eine mathematische Seite und zweitens eine generationenübergreifende. Auf der mathematischen Ebene liegt dann eine Gefährdung von Freiheit und Demokratie vor, wenn das Vermögenswachstum bei den betreffenden Familien bzw. Clans im Durchschnitt größer ist als in der übrigen Gesellschaft. Die generationenübergreifende Weitergabe akkumulierter Vermögen ist als Prinzip nicht in Frage zu stellen, denn sie entspringt dem menschlichen Urbedürfnis, einen guten Teil der eigenen Lebensenergie dem Wohl der Nachkommen zu widmen. Sie gefährdet nur dann demokratische Prinzipien, wenn mit dem Vermögen auch Macht weitergegeben wird.

Es genügen sehr überschaubare Mechanismen, um die Probleme der Vermögens- und Machtakkumulation auf der mathematischen wie auch auf der generationenübergreifenden Ebene nachhaltig zu lösen. – Erstens hat eine Überwachung der Geldausgaben der Betreffenden sicherzustellen, dass diese nicht auf Machtenfaltung hinauslaufen. Zweitens ist die Höhe vererbbarer Vermögenswerte zu begrenzen, beispielsweise auf 30 Mrd. USD pro begünstigender Person/ Erblasser, Ausnahmen bei tatsächlicher unternehmerischer Tätigkeit)

Um ein erneutes Aufkommen von Erbdynastien dauerhaft auszuschliessen und die freiheitliche Demokratie zu bewahren, sind also drei Mechanismen zu etablieren: 

  1. Überwachung aller sehr vermögenden Personen auf gesellschafts schädliche Geldausgaben (parallel dazu schrittweiser Abbau der die Bürgerfreiheiten beschränkenden Geldwäschebestimmungen)
  2. Begrenzung vererbbarer und schenkbarer Vermögenswerte – mit grosszügigen Obergrenzen
  3. Optimierung der freiheitlichen Demokratie als Daueraufgabe – nicht misszuverstehen als Ermunterung zu Aktionismus und Vorschriften Flut, sondern als Endlosprogramm für die stetige Höherentwicklung der Gesellschaft zu einer freien Assoziation

Wie gesehen haben Demokratie und ihre Bewahrung eine solidarische und erst dadurch handlungsfähige Nation zur Voraussetzung. Diese setzt ihrerseits die gleichfalls niemals endende – doch nie in kleinlichen Nationalismus abgleitende – Bewahrung eines moderaten Patriotismus voraus. Das gilt in modifizierter Form auch für hochintegrierte Allianzen, welche sich entwickeln werden, sobald die Kräfte der Desintegration überwunden worden sind. Prinzipiell wird das Kontrollsystem gegenüber sehr vermögenden Personen im Interesse der Bewahrung von Freiheit und Demokratie mit Sicherheit auch jenseits der nächsten Jahrhunderte in ähnlicher Form weiterlaufen müssen, denn das faire und demokratische Prinzip der Qualifikation - durch Leistungsnachweise und ggf. zusätzlich durch Wahlverfahren - ist mit Erbdynastien jeglicher Art unvereinbar

Indem die Welt genug von den polarisierenden Folgen einer Außenpolitik der – zudem inszenierten und entsprechend kontraproduktiven - Einmischungen und Militäreinsätze gesehen hat, stellt sich die Frage nach harmonischeren Alternativen, die dem Ziel einer dauerhaften Stabilität unter Bewahrung der Freiheit näherbringen.

Politik wie jede andere Form menschlicher Interaktion hat stets eine psychologische Grundlage. Harmonischere Umgangsformen beginnen selbstverständlich beim Unterlassen aggressiver Aktionen wie Militäreinsätze, Sanktionen und Setzen erniedrigender Ultimaten. Der nächste Schritt kann und sollte darin bestehen, die eindringliche Empfehlung Martin Luther-Kings aufzugreifen, den Äußerungen tatsächlicher und vermeintlicher Feinde so weit wie möglich Gehör zu schenken und sich auf deren Gedanken und Gefühle einzulassen. Erst in einer solchen optimierten Atmosphäre ist es möglich, die Evolution der gesellschaftlichen Organisationsformen nicht wie aus primitiver tribalistischer Sicht als Kampf zwischen den Kulturen aufzufassen, sondern als gegenseitiges Beraten in einer Weiterentwicklung, die jede Gesellschaft souverän und ohne Einmischung von außen selbst steuert – deren Konsequenzen allerdings auch selbst verantwortet. Um Welten effizienter als mit Gewalt können sich auf diesem Wege bereits bewährte oder überzeugende neue Ansätze verbreiten. Die kapitalistisch dominierten USA haben es in 77 Jahren Nachkriegszeit nicht fertiggebracht, die Menschheit auf dieses Niveau zu heben. Im Gegenteil konnte die militärische Einmischung zum Standardinstrument aufsteigen. Dafür ursächlich ist insbesondere das Versäumnis Großbritanniens und der USA als Sieger zweier Weltkriege, klare Regelungen für eine Verwirklichung des Selbstbestimmungs- und Sezessionsrechts zu entwickeln und weltweit verbindlich einzurichten. Wie die „bewährten“ amerikanischen Anti-Trust Laws bereits seit rund 130 Jahren zeigen (Kapitel A 5.) ermöglichen fehlende oder unklare Regelungen den Zutritt der Macht des grossen Geldes bzw. generell eine Wiedebelebung des primitiven Rechts des Stärkeren. Auf (und)sicherheitspolitischen Gebiet drückt sich das namentlich darin aus, dass die ganz überwiegende Zahl der militärischen Konflikte zwischen 1945 und 2001 von der Supermacht USA gestartet worden sind. 

Die ideale soziologische Lösung vereinigt aber, wie u.a. in Kapitel A 28. begründet, die Merkmale der Freiheit des Individuums in wirtschaftlichen Dingen, die Freiheit der unverfälschten Information und die gegenseitige soziale Kontrolle mittels eines Systems, das insbesondere die Vertrauenswürdigkeit der politischen Repräsentanten gewährleistet. Diese letztere Funktion dauerhaft sicherzustellen, gelingt nach den Überlegungen weiter oben in diesem Kapitel am besten nach dem Prinzip der sich stetig erweiternden demokratischen Macht der Nation. Verschiedene Staaten verfolgen für denselben Zweck davon abweichende, größtenteils weniger demokratische Ansätze. Diese sind nicht nur zu respektieren, sondern auch als Lieferanten von Anregungen für die Verbesserung der eigenen gesellschaftlichen Organisationsform zu betrachten – und sei es als Negativbeispiel. 

Sachlich betrachtet bringt die nur auf lokaler Ebene direkte chinesische Teil Demokratie mit ihren Wahlen zu den gestaffelten Parlamenten bis hin zum National People's Congress in Peking exakt ebenso viel demokratischen Einfluss der Bürger wie EU-Bürger auf die Zusammensetzung der EU-Kommission in Brüssel haben. In beiden Fällen liegt eine Demokratie aus fünfter Hand vor (siehe Kapitel A 27 “Freiheitliche Demokratie als lebendige Idee”). Im chinesischen System werden die Abgeordneten eines lokalen Parlaments direkt von den Bürgern gewählt (Grassroot Democracy), diejenigen auf regionaler Ebene von denen auf lokaler Ebene. Die Parlamentsabgeordneten auf Provinzebene werden entsprechend von den Abgeordneten auf regionaler Ebene gewählt und diese wählen die 2987 Abgeordneten des National People’s Congress. Das chinesische und das europäische Wahlverfahren erweisen sich damit beide als noch demokratisch verbesserungsbedürftig – doch nur formal in gleichem Masse. Denn Entscheidungen und Maßnahmen chinesischer Politiker dienen – nachprüfbar -- im Regelfall den tatsächlichen Interessen der chinesischen Bürger, während eine entsprechende Beobachtung für „westliche“ Länder nur mit großen Einschränkungen zutrifft. Das aber kann seine Ursache nur in gravierenden Mängeln bei der Art und Weise haben, wie einfache Bürger die Vertrauenswürdigkeit ihrer politischen Vertreter sicherstellen können. Das grosse Defizit im „Westen“ besteht nicht auf der Ebene der demokratischen Wahlen, sondern auf derjenigen der Aufstellung von Kandidaten. Denn wie Noam Chomsky wiederholt festgestellt hat, sorgen eingespielte Mechanismen dafür, dass nur Personen mit bestimmter politischer Einstellung und unkritischem Charakterprofil entsprechend den Vorstellungen der Mächtigen in die Arena gelassen werden. In diesem Punkt schneidet das chinesische System besser ab, indem der Zutritt zur politischen Arena auf der lokalen Ebene stattfindet. In diesem Grassroot Democracy genannten Modell organisieren Bürger selbst die Kandidatenaufstellung, teilweise auf der Basis persönlicher Bekanntheit. Indem alle auf lokaler und regionaler Ebene sowie auf Provinz- und Staatsebene gewählten Parlamentsabgeordneten ursprünglich über diesen basisdemokratischen Zutritt in die politische Arena gelangt sind, besteht eine positive Vorauswahl, welche Opportunistentum, Bestechlichkeit und Blindheit für das öffentliche Interesse zu begrenzen vermag.

Ein hypokrisiefreier Blick auf China sollte den Menschen im Westen klarmachen, 

  1. dass Freiheit, Demokratie, faire Marktwirtschaft, Abbau diskriminierender Klassenbarrieren und Sicherstellung von Verantwortlichkeit zwar letztlich zusammengehörige Bestandteile einer fortgeschrittenen Gesellschaftsform darstellen, aber offenkundig auf verschiedenen Wegen erreicht werden können 
  2. dass China auf dem Weg zu diesen fünf Zielen keineswegs hinter den “westlichen” Ländern zurückliegt, sondern dass jede Seite von der anderen lernen kann 
  3. dass China kein ideologischer Gegner ist, sondern ein überaus interessanter Gesprächs- und Kooperationspartner, der alternative Wege zu freiheitlicher Emanzipation der Menschen beschreitet. 
  4. dass ein objektives gemeinsames Anliegen darin besteht, den kapitalistischen Einfluss in Wirtschaft und Politik dauerhaft zu limitieren.

Zu den Bereichen, in denen „westliche“ Demokratien von China lernen können, gehören ausser der freien Marktwirtschaft, dem weltoffenen Patriotismus und einer offenkundig erfolgreicheren Sicherstellung der Vertrauenswürdigkeit von Führungspersönlichkeiten auch weitaus effektivere Möglichkeiten, Banken zu kontrollieren. „The Chinese government can manipulate the economy in ways that Western governments can’t. In 2008, for example, when the housing market was starting to overheat, it simply ordered banks to reduce the number of housing loans. – Die chinesische Regierung kann die Wirtschaft auf eine Art und Weise manipulieren, wie es westliche Regierungen nicht können. Beispielsweise wies sie 2008, als der Wohnimmobilienmarkt zu überhitzen begann, einfach die Banken an, die Zahl der (vergebenen) Kredite zu reduzieren. / Jeffrey Hays, China's State  Controlled Economy and State-Owned Cmpanies, © 2008 Last updated April 2012, Referenz http://factsanddetails.com/china/cat9/sub58/item1884.html 

Wenn man bedenkt, in welch tiefe Krise namentlich die USA und Europa im selben Jahr 2008 - vor demselben Hintergrund eines überhitzten Immobilienmarktes - gestürzt sind, wird klar, dass sich derartige Probleme leicht vermeiden lassen und dass es der Finanzsektor ist, bei welchem dafür konstruktiv anzusetzen ist.

Bei der anzustrebenden engen Kooperation mit China in der Erprobung und Weiterentwicklung gesellschaftlicher Organisationsformen ergeben sich namentlich in den Bereichen Management, innerbetriebliche und zwischenbetriebliche Arbeitsteilung, Mitarbeiter Emanzipation und Motivation interessante Perspektiven. So lautet ein zentrales Prinzip der Firmenphilosophie von Huawei-Chef Ren Zhengfei: “To promote self-assessment and self-criticism Huawei promotes a culture of tolerance within the firm by encouraging dissenting voices.”. – Um Selbsteinschätzung und Selbstkritik zu fördern, unterstützt Huawei innerhalb der Firma eine Kultur der Toleranz, indem (zur Äußerung) abweichender Meinungen ermutigt wird. / Professor Xiaobo Wu, Grey Management in Chinese Leadership, Dean, School of Management, Zhejiang University 2016, Referenz https://www.hcli.org/articles/grey-management-chinese-leadership

Zweifelsfrei fördert eine solche Unternehmensphilosophie bei den Mitarbeitern die Lösung aus enger hypokritischer Sichtweise und unterwürfigem “Agentic State” - und schafft damit günstige Bedingungen für Emanzipation

In China findet aktuell die größte Emanzipation der Menschheitsgeschichte statt. Von den bahnbrechenden Entwicklungen lässt die kapitalistisch beherrschte Medienlandschaft allerdings sehr wenig zum “westlichen” Bürger vordringen – und fokussiert dafür im typischen Stil eines Ablenkungsmanövers die gefährdete Demokratie in Hong Kong. Unabhängig davon, dass diese Demokratie ebenso kapitalismus geschädigt und reformbedürftig ist wie die in den “westlichen” Ländern, ist der chinesische Boom an Hong Kong vorbeigegangen - dessen Anteil an der Wirtschaftsleistung Chinas ist von über 20 % zur Zeit des Wiederanschlusses 1987 auf inzwischen nur noch etwa 3 % zurückgegangen. – Mit diesem Thema von vorgestern lenken die Kapitalisten auch davon ab, dass sie sich selbst schon seit rund vier Jahrzehnten neu orientiert haben – nach China und inzwischen zunehmend nach Vietnam und zu anderen aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien.