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Aktien

In Gestalt der East India Company hat der Kapitalismus mit einer staatlich privilegierten Aktiengesellschaft seine historische Karriere begonnen – und bis heute, gut 420 Jahre später, gehören staatlich privilegierte Aktiengesellschaften zu ihren wirtschaftlichen und damit auch politischen Machtfundamenten.

Aktien, also Eigentumsanteile an Unternehmen gibt es bereits seit rund 700 Jahren. In der Tat bilden sie ein ideales Instrument in der Hand von Personen, die keine eigene unternehmerische Initiative und keine kreative Tätigkeit einsetzen, aber in die Initiativen anderer Personen investieren wollen. In der Aktie wird damit das ethische Konzept, welches dem Recht eines jeden Menschen auf freie wirtschaftliche Entfaltung zu Grunde liegt, also ein Unternehmen zu gründen und zu betreiben, verlassen. Die ursprüngliche Einheit aus dem kreativen Arbeiten mit Hilfe eigener Produktionsmittel einerseits und dem Eigentum an denselben andererseits wird aufgebrochen, denn die Halter der Unternehmensanteile/ Aktien haben als bloße Investoren im Regelfall nichts mit Organisation, Innovation oder Produktionsabläufen zu tun. Auch wenn in den Unternehmen - von Managern und anderen Angestellten - kreative Arbeit geleistet wird, repräsentieren Aktien nur in solchen seltenen Fällen Kreativitätsmittel, in denen sie sich mehrheitlich im Eigentum des tatsächlichen Unternehmers befinden. In der Hand von Investoren aber stellen Aktien verstorbene Arbeit dar.

Der angestellte  Manager einer Aktiengesellschaft handelt im Unterschied zum freien Unternehmer nicht in Eigenverantwortung, vielmehr müssen sich seine Entscheidungen nach den Interessen der Aktionäre richten. Hier gilt es zu unterscheiden; Konservative Aktionäre, welche sich die betreffende Aktie als langfristige Anlage ins Depot legen, haben ein Interesse an einer nachhaltig gesunden Unternehmensentwicklung, Aktionäre mit kurzfristigem Anlagehorizont sind dagegen allein auf sofortigen Gewinn fokussiert. 

Das gilt insbesondere dann, wenn Aktienkäufe nicht als solide Investition, sondern, z. B.  im Daytrade, als kurzfristige Spekulation betrieben werden, also als Wettspiel. Es ist der Kapitalismus – das System der Habgier innerhalb der Werte schaffenden Marktwirtschaft - welcher den Aktienmarkt von einer seriösen Börse für große Investoren und kleine Anleger zu einem Tummelplatz für Spekulanten gemacht hat. Im Unterschied zu rationalen langfristigen Geldanlagen in Aktien verursachen kurzfristige spekulative Engagements an der Börse eine ausgeprägte Volatilität der  Kurse, also ein gesteigertes Ausmaß an Schwankungen. – Bei einem raschen Kursanstieg „springen“ viele spekulativ orientierte Anleger „auf den fahrenden Zug,“ um von dem Trend zu profitieren - „the trend is your friend“. Die nun steigende Nachfrage treibt den Kurs weiter nach oben, bis die Aktie deutlich überbewertet erscheint oder aber, bis eine negative Nachricht zu dem betreffenden Unternehmen veröffentlicht wird. Dann tritt genau der gegenteilige Effekt ein, viele Teilnehmer verkaufen, so dass der Kurs weiter sinkt. Ist das in stärkerem Maße der Fall, kann sich regelrechte Panikstimmung ausbreiten, die zu weiteren Verkäufen und noch tieferen Kursen führt. 

Derartige Schwankungen stellen für viele Bürger ein erhebliches psychologisches Hindernis dar, eine Abwehrhaltung, mit welcher sie sehr recht haben - und zugleich sehr falsch liegen. Richtig ist einerseits, dass sich kleine Anleger in einigen Aspekten gegenüber Geldmagnaten im grundsätzlichen Nachteil befinden – siehe weiter unten. Andererseits existiert langfristig keine renditestärkere Form der Investition als die in Aktien bzw. Aktienfonds.

Banken, die privaten Anlegern Zugang zum Aktienmarkt anbieten, ermöglichen zwar einerseits die besagte Spekulation, erfüllen jedoch auch eine soziale Funktion, indem sie allen Bürgern die Möglichkeit verschaffen, Eigentum an Produktionsmitteln zu erwerben und damit an der nachweislich renditestärksten Anlageform teilhaben zu können.  

  • So ergab eine Langzeituntersuchung (1900 – 2011) folgende Renditen (durchschnittlicher Wertzuwachs pro Jahr):

  • Welt Aktienindex: 8,5 %

  • Welt Bond Index (US-Staatsanleihen): 4,7 %

  • Wohnimmobilien (ohne Mieteinnahmen): 4,3 %

  • Gold: 3,9 %

  • Inflation: 3,0 %

/ Elroy Dimson, Paul Marsh, and Mike Staunton (London Business School) Rendite, 1900–2011: Globale Aktienrenditen angegeben in US-Dollar.

Zieht man von diesen Werten jeweils die Inflation zu 3 % ab, bleiben für Gold nur 0,9 % an realen Wertzuwachs übrig, für Wohnimmobilien 1,3 %, für Staatsanleihen 1,7 %, für Aktien aber 5,5 %.

Doch erst die langfristige Betrachtung zeigt die wahren Unterschiede. Die anzuwendende Formel lautet:

Verdopplungszeit in Jahren = 72/ jährlichen Zuwachs in %

Die Verdopplungszeit für Gold lag also bei 72/ 0,9  = 80 Jahren.

Beim Weltaktienindex betrug der Zeitraum für eine Verdopplung dagegen nur 72/ 5,5 = 13,1 Jahre. 

Innerhalb des Zeitraums von 80 Jahren, in welchem Gold seinen Wert verdoppelt hat, konnten Aktien ihren Wert sechsmal verdoppeln, denn die 13,1% passen sechsmal in 80 Jahren (genau sogar nur 78,6%). Sechs Verdopplung Schritte brachten die Aktienwerte am Ende auf das Vierundsechzig Fache, denn die Reihe heißt 2, 4, 8, 16, 32, 64.

Dehnen wir den Betrachtungszeitraum von 78,6 Jahren auf 104,8 Jahre aus, treten noch zwei Verdopplungsschritte hinzu – 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256. Der Wert der Aktien ist also – bereits inflationsbereinigt - innerhalb von knapp 105 Jahren auf das 256-fache gestiegen, während Gold seinen Wert nicht einmal auf das Dreifache hatte steigern können.

Da die ganz großen Vermögen der Welt tatsächlich größtenteils Aktienvermögen darstellen, müssen die bereits im Jahre 1900 superreichen Gelddynastien inzwischen astronomisch reich sein. Selbst dann, wenn man Systemkosten für den Machterhalt abzieht, führt die Rechnung zu einem mindestens so hohen Ergebnis wie errechnet, da erhebliche Sondervorteile bestehen. Wer Großaktionär oder gar Mehrheitsaktionär ist, kommt erleichtert an besondere Insiderkenntnisse, die sich selbstverständlich - durch stets rechtzeitige Kauf- oder Verkaufsentscheidungen - in überdurchschnittlichen Renditen niederschlagen, so dass die inflationsbereinigten 5,5 % von den Superreichen ohne Zweifel klar übertroffen worden sind. Zudem verfügen sie über Spitzen Experten, welche die Riesen Depots verwalten bzw.  – stets mit der neuesten Informationstechnik -  nach Opportunität managen. 

Dass sich die enorme Vermögenskonzentration in wenigen Händen auch auf dem Wege definitiv unseriöser Praktiken vollzieht, veranschaulichen Vorkommnisse im Vorfeld (wie auch in der „Abarbeitung“ ) von Ereignissen, welche die einfachen Bürger als „Krisen“ unerwartet erreichen, Insidern aber offenkundig vorher bekannt sind. So fanden beispielsweise im weiten Vorfeld des Absturzes der Großbank Lehman Brothers am 15. September 2008 forcierte Verkäufe von - in Wahrheit nicht mehr werthaltigen - Wertpapieren (ua  auf der maroden Basis nicht mehr eintreibbarer Immobiliendarlehen) dieser Bank in vielen Geldinstituten rund um die Welt statt. Forciert heißt, dass beratende Bankangestellte bei solchen faulen Papieren besonders attraktive Verkaufsprämien kassiert haben – nicht nur ein Verstoß gegen das Prinzip einer wohlwollenden Kundenberatung, sondern dessen Verkehrung ins Gegenteil. 

Aktien und alle daraus abgeleiteten Papiere (Optionsscheine, Futures usw.) waren und sind für  den Aufbau der kapitalistischen riesigen Vermögen der Erfolgsschlüssel schlechthin. Kumulationseffekte, unter anderem durch den genannten Informationsvorsprung der Kapitalisten, halfen und helfen dabei, die bereits Reichen in überproportionalen Maße noch reicher zu machen. 

Diesen unfairen Wettbewerbsvorteil abzubauen, muss ein Reformziel sein, so dass Kleinanleger auf breiter Front Aktienvermögen bilden können und damit Miteigentümer an Produktionsmitteln werden. Dem Problem der Kursschwankungen können  sie begegnen, indem sie den Anlageschwerpunkt zumindest bei den ersten Investitionen auf Index-Aktienfonds legen. Diese sogenannten ETFs bilden in ihrer Zusammensetzung einen Aktienindex ab, zum Beispiel den DAX (Deutschland) oder den Dow Jones (New Yorker Aktienindex). Dadurch ist das Risiko gestreut und die Verwaltungsgebühren liegen deutlich unter dem anderer Aktienfonds. Bankberater empfehlen dagegen oft gemischte Fonds mit Anteilen von Staatsanleihen und Immobilienfonds – weil sie dafür bessere Verkaufsprovisionen erhalten. In der EU ist bei solchen Abschlüssen eine Beratung vorgeschrieben, deren Protokoll der Kunde unterschreiben muss. Das ist leider nicht nur ein weiteres Beispiel für bürokratischen Wildwuchs, sondern auch für vorgetäuschte Sicherheit, indem das Eigeninteresse der Bankberater durch ihre je nach Anlageform unterschiedlichen Provisionen mit dem Kundeninteresse nicht deckungsgleich ist.

Dass die Kapitalisten private Bürger nach Möglichkeit von der Geldanlage in Aktien abhalten, hat in den “westlichen” Ländern zu einer weitgehenden Verhinderung privaten Vermögensaufbaus geführt. Ebenfalls mit bedenklichen Folgen sind auch die staatlichen Systeme der sozialen Absicherung davon abgehalten worden, in Aktien und damit – im Gegensatz zur Geldanlage – Substanzwerte zu investieren. Ein Beispiel stellt das in der Generationenfolge ungerechte System der Umlagen-Rente in Deutschland dar, bei welcher Rentner die Einzahlungen der aktuell Arbeitenden unmittelbar weitergereicht bekommen. Das System ist auch ineffizient, indem Geld voreilig ausgegeben wird, statt die Rendite Effekte sinnvoller Investitionen zum langfristigen Vorteil abzuwarten. 

Aktienkauf findet dagegen dort forciert statt, wo er vornehmlich kapitalistischen Interessen dient, namentlich indem Konzerne auf diesem Wege kleinere Firmen aufkaufen.  Es gibt grundsätzliche Einwände dagegen, dass eine Firma berechtigt sein soll, eine andere Firma zu erwerben, Einwände, die mit der besonderen Position eines Unternehmers in der Gesellschaft zu tun haben. Diese persönliche Stellung kann definitionsgemäß nicht von einer Firma, schon gar nicht von einem verschachtelten Konzern eingenommen werden. Doch sind zwei grundverschiedene Formen der Handhabung  zu unterscheiden, von welchen nur eine marktkonform ist. - Markwirtschaftskonform ist das Aufkaufen eines in Konkurs gegangenen oder auch eines intakten Unternehmens, wenn dieses in die Strukturen und das Rechnungswesen der Konzernmutter voll integriert wird. Entgegen anderslautenden Ansichten stellt die schiere Grösse eines Konzerns für sich gesehen keine Bedrohung für die Fairness am Markt dar. Wenn jedoch die aufgekaufte Firma  als selbständiges Tochterunternehmen weitergeführt wird, nunmehr unter dem Dach des Konzerns, entsteht eine in sich höchst widersprüchliche Situation:  Einerseits bilden „Mutter und Tochter“ eine geschlossene Interessenpartei im Marktgeschehen, sie sprechen sich ab und koordinieren ihre Aktionen in der Auseinandersetzung mit Wettbewerbern.

Den Finanzämtern gegenüber treten  beide jedoch als verschiedene Parteien auf. Indem sie ihre Bilanzbuchhaltung und die getrennten Steuererklärungen aufeinander abstimmen, können sie sich mit Leichtigkeit unfaire Vorteile verschaffen, die von Einzelunternehmen verschlossen sind.

Ein solches weltweit verbreitetes Modell für kapitalistische Sondervorteile basiert darauf, dass eine - zum Beispiel in Europa ansässige - Konzerntochter dem amerikanischen Mutterkonzern am Jahresende ihre Bilanzdaten meldet. Auf dieser Grundlage wird ein Betrag vereinbart, den das Tochterunternehmen noch vor dem Jahresabschluss an die Konzernzentrale zu überweisen hat. Dieser Betrag wird zum Beispiel als Lizenz für das Geschäftsmodell, Markenlizenz, Patentlizenz, Urheberrecht  oder Franchisegebühr bezeichnet und der Höhe nach so bemessen, dass das Tochterunternehmen formal nur einen schmalen Gewinn übrig behält und versteuert.

Dann, so sollte man annehmen, müsste stattdessen die Konzernmutter in den USA den an sie abgetretenen Gewinn versteuern - doch genau das geschieht im Regelfall bestenfalls in spärlichen Dimensionen. Die Erklärung liegt geographisch etwas östlich von Washington, D.C. und heißt Delaware.