Die vernachlässigte Verteidigung der Pressefreiheit

Von CrisHam, 10. November 2023

 

Im vergangenen Jahrhundert haben ca. 190 Mio. Menschen in Kriegen und Bürgerkriegen ihr Leben verloren. Aus diesem Desaster erfolgreich zu lernen erfordert allerdings mehr, als die Schuld einzelnen Politikern zuzuordnen. Denn letztlich waren sämtliche Mitglieder der damaligen zivilisierten Gesellschaften mit verantwortlich für das nationalistische, kleinlich zerstrittene, von gesamteuropäischer Solidarität weit entfernte Ambiente, in welchem sich eine polarisierende Politik entfalten konnte. Eine besondere Schuld traf Journalisten und andere Medienvertreter.        

In einer Demokratie soll die freie Presse für Ausgewogenheit, für Prinzipientreue und für Verständigung sorgen. Die Pressefreiheit ist jedoch keinesfalls schon dadurch gewährleistet, dass sich ein Großteil der Medien in Privathand befindet. Im Gegenteil bedeutet die faktische Konzentration von Medienkontrolle (nicht immer identisch mit Eigentum) in wenigen Händen eine vierte gesellschaftlich wirksame Macht, die sich im Gegensatz zu den drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative außerhalb demokratischer Kontrolle befindet. 

Die theoretisch freie marktwirtschaftliche Auswahl der Informationsquellen wird durch faktische Oligopole eingeengt. Allein die sich daraus ergebenden umfangreichen Möglichkeiten der Meinungsmanipulation sind bedenklich, noch bedenklicher aber deren offenkundige Zielrichtung, die insgesamt klar gegen die Interessen der freiheitlichen Nationen gerichtet ist. Für diesen alarmierenden Befund liegt eine rasch wachsende Fülle von Belegen vor, zu denen der Gesellschaftskritiker Noam Chomsky in besonderem Maße beigetragen hat. 

Meinungsbeeinflussung gewinnt jedoch erst in Verbindung mit den Aktivitäten einer fünften gesellschaftlich relevanten Macht eine wortwörtliche, nämlich eine miltärische Durchschlagskraft. – Analysiert man, welche Kräfte aktuell daran „arbeiten“, die Europa gefährdende Eskalationsspirale im Ukrainekrieg in Bewegung zu halten, stößt man auf bemerkenswert durchsetzungsstarke Militaristen, die sich auf mehrere Machtsäulen stützen. Es sind dies allem vor die Medienherrschaft und der MIC – der Militärisch-Industrielle Komplex, der sich aus einigen Politikern sowie Vertretern der Rüstungsindustrie, des Militärs und der Geheimdienste zusammensetzt.  

Die Möglichkeiten des legitimen Souveräns des Staates, also der Bürger, diesen polarisierenden Personenkreis demokratisch zu kontrollieren, bestehen nur sehr indirekt über ernannte Repräsentanten ernannter Repräsentanten der gewählten Repräsentanteno: Die gewählten Parlamentsabgeordneten wählen den Regierungschef, der ernennt seinerseits den Verteidigungsminister, der dann Offiziere kontrollieren sollte, dazu aber kaum in der Lage ist. 

Denn während sich die Amtszeit eines Ministers nach wenigen Jahren bemisst, erstreckt sich die Dienstzeit der etablierten Militärs über Jahrzehnte. Die Herausbildung von Seilschaften ist in einem so geschützten Biotop entsprechend psychologischen Regeln unausweichlich, schon indem Ranghöhere bevorzugt gesinnungskonforme Rangniedere nachrücken lassen. Eine separate Militärgerichtsbarkeit (die mit keiner demokratischen Verfassung vereinbar ist) wie in Großbritannien und den USA erleichtert die Abschirmung gegen Kontrolle von außen zusätzlich. Diese dem republikanischen Staatsgedanken widersprechende Konstellation hätte schon längst durch eine wachsame freie Presse reklamiert und durch die Politik korrigiert werden müssen.  

Die Verflechtung zwischen Medien, Staat, Rüstungsindustrie und Militär einschließlich Geheimdiensten lässt sich historisch gut zurückverfolgen. Noch während fast des gesamten 19. Jahrhunderts hatten die jungen USA die hoch geachtete Position eines Vorbildes innegehabt, das in aller Welt freiheitlichen und demokratischen Bewegungen Auftrieb verschaffte. Hinter der glänzenden Fassade hatten sich einflussreiche Kräfte jedoch schon frühzeitig mit ganz anderen „Idealen“ positioniert. Der Kurswechsel trat erstmals im Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898-1899) in Erscheinung, insbesondere auf den Philippinen. Damals hatten sich die Bewohner der Inselgruppe auf amerikanische Ermutigung hin von langer spanischer Herrschaft gelöst. Anschließend fanden sie sich jedoch nicht in der erwarteten demokratischen Selbstbestimmung wieder, sondern unter einer neuen, sehr viel härteren Fremdherrschaft der USA, richtiger aber der dort erstarkten Freiheitsfeinde. Innerhalb weniger Jahre erlagen etwa 10 % der damaligen 7 Mio. Einwohner dem brutalen Vorgehen des Militärs. 

Unter einwandfrei rechtsstaalichen Bedingungen wären die menschenverachtenden Praktiken aufgrund wachsenden öffentlichen Drucks umgehend abgestellt worden. Doch genau das ist durch eine bis 1901 gültige, die amerikanische Öffentlichkeit vor Informationen aus den Philippinen „schützende“ Zensur verhindert worden. Diese Zensur durfte vom Militär in eigener Sache ausgeübt werden. 

Doch selbst als private Soldatenpost die Geschehnisse auf den Inseln 1901 ans Licht brachte, blieb die Verteidigung des beschädigten Wertefundaments schwach. Genauer gesagt war es die Presse, die in ihrer Funktion als kritischer Wächter über Freiheit und Rechtsstaatlichkeit kläglich versagte; denn nach anfänglich empörten Stimmen setzte sich in den Zeitungen des Mainstream bald eine „besonnene“ Kommentierung durch, die Verständnis für den brutalen Umgang mit den Filipinos propagierte. 1.) 

Die mediale Narkotisierung der demokratischen Wachsamkeit hat damals verhindert, zukünftigen Versuchen zur Einrichtung einer Zensur mit aller Entschiedenheit einen Riegel vorzuschieben. Vorhersehbarer Weise wiederholten sich die Angriffe auf die Pressefreiheit bei nächster Gelegenheit in gesteigerter Form. 

Diese Gelegenheit bot der 1. Weltkrieg. Wenige Tage nach Kriegseintritt der USA 1917 wurde das Committee on Public Information (Creel Committee) geschaffen, dessen Tätigkeit in einer Zensur der Militärberichterstattung bestand. Zu deren „Kompetenzen“ gehörten auch gezielte propagandistische Fehlinformation und polarisierende Emotionalisierung der Bürger. Die solcherart von Kritik und Opposition abgeschirmte amerikanische Kriegsteilnahme konnte so „noch rechtzeitig“ die bereits absehbare Verständigung zwischen den erschöpften europäischen Kriegsgegnern verhindern - was außer zusätzlichen Opfern auch den von Hass geprägten Versailler Friedensschluss zur Folge hatte, welcher den 2. Weltkrieg bereits vorprogrammierte. Dieser brachte dann mit dem Office of War Information (1942 bis 1945) erneut eine Propagandabehörde hervor.

Nach dem 2. Weltkrieg sind Politiker zu der Einsicht gelangt, dass internationale Konflikte zukünftig gewaltfrei geregelt werden müssen und haben dazu im Juni 1945 die Charta der neu gegründeten UNO verabschiedet. Es ist ein separates Thema, dass sich diese wertvolle Initiative als Strohfeuer erwies, indem das in Artikel 1 der Charta als Grundlage zeitgemäßer Friedenssicherung verkündete Selbstbestimmungsrecht bis heute keine Anwendungsreife erlangt hat. Stattdessen wurde einem konkurrierenden Recht, nämlich dem der Staaten auf Unversehrtheit ihres Territoriums, ein bedenklicher Vorrang eingeräumt. Spätestens die blutigen Ereignisse um die Auflösung Jugoslawiens haben gezeigt, wie dringend eine Stärkung, glasklare Regelung und unparteiische Applikation des Selbstbestimmungsrechts erforderlich ist. 

Gäbe es eine solche Regelung, wäre auch das Schicksal der Krim bereits 2014 mit einem international kontrollierten Referendum endgültig gelöst worden, egal ob als Anschluss an Russland, autonomes Gebiet innerhalb der Ukraine oder selbständige Republik. So aber darf die Ukraine, mit den bedingungslosen Waffenlieferungen im Rücken, gegen Selenskyjs Münchner Versprechen vom 19. Februar 2022 und trotz der seit 1783 bestehenden russischen Identität der Krim die Halbinsel zum zunehmend zum Gegenstand von Attacken machen. Damit betritt man eine Eskalationsstufe, auf der eine nukleare Antwort vorprogrammiert ist.    

Aus drei vorausgegangenen Bruderkriegen, den Krimkrieg von 1853-1856 eingerechnet, ist von der Politik absolut ungenügend gelernt worden. Der im Juni 1945 mit der Verkündigung der UNO-Charta eingeschlagene Weg hin zu einer Ablösung kriegerischer Gewalt durch friedliche Konfliktlösungen ist danach im Sande verlaufen, indem das gut gemeinte Regelwerk aufgrund des Fehlens einer verbindlichen Abgrenzung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem Souveränitätsanspruch der Staaten keine Anwendungsreife erlangt hat. 

Die Vertreter der Medien haben nach dem 2. Weltkrieg noch nicht einmal einen solchen unfertigen Ansatz zuwege gebracht. Dabei wäre es zuvorderst ihre Aufgabe gewesen, die Diskrepanz zwischen dem in Artikel 1 der UN-Charta verkündeten Selbstbestimmungsrecht und dessen „konsequenter“ Missachtung in der politischen Praxis anzuprangern. Stattdessen konnte der Mangel an kritischer Wachsamkeit aus der Zeit der philippinischen Zensur fortbestehen, so dass die Tore für weitere Attacken auf die Medienfreiheit und damit verbunden auf die allgemeine Meinungsfreiheit weit geöffnet blieben. 

Insbesondere konnte die genannte Verflechtung der privaten Medienmacht mit der Staatsmacht und dem Militär im Schutz fehlender grundlegender Kritik weiter gefährlich anwachsen. Die Undurchsichtigkeit des Netzwerks hat u.a. dadurch zugenommen, dass in den USA eine Vielzahl von Geheimdiensten (aktuell 24) entstanden ist. Diese beeinflussen nicht nur die Tätigkeiten des Militärs, sie bestimmen auch im Wesentlichen über die Informationen, welche der Öffentlichkeit über dieselben präsentiert werden. Dass es dabei nicht um schlichte Wahrheitswiedergabe geht, zeigen u.a. die immensen Ausgaben der CIA für Propaganda – etwa 1/3 ihres Budgets. 

1989 stellte der hochrangige ehemalige CIA-Agent Victor Marchetti (1929-2018) in seinen (erst nach Teilzensierung freigegebenen) Enthüllungen fest: „… democratic governments fighting totalitarian enemies run the risk of imitating their methods and thereby destroying democracy. By suppressing historical fact, and by manufacturing historical fiction, the CIA, with its obsessive secrecy and its vast resources, has posed a particular threat to the right of Americans to be informed for the present and future by an objective knowledge of the past. As long as the CIA continues to manipulate history, historians of its activities must be Revisionist …“ – „… demokratische Regierungen, die totalitäre Feinde bekämpfen, laufen Gefahr, deren Methoden zu imitieren und dabei die Demokratie zu zerstören. Indem die CIA die historische Wahrheit unterdrückt und (dafür) Geschichte erfindet, hat sie mit ihrer verbissenen Geheimhaltung und ihren riesigen Ressourcen eine besondere Gefahr für das Recht der Amerikaner geschaffen, sich für Gegenwart und Zukunft durch objektive Kenntnis der Vergangenheit zu informieren. Solange die CIA darin fortfährt, die Geschichte zu manipulieren, müssen Historiker in ihren Aktivitäten Revisionisten sein …“ 2) 

Diese revisionistische Arbeit der Historiker muss sich mittlerweile durch ein extrem unübersichtliches Dickicht aus Wahrheit, Halbwahrheit und Unwahrheit quälen. Brisante Enthüllungen können dadurch oft erst nach Jahrzehnten als gesicherte Wahrheit erkannt werden. Das gilt beispielsweise für die Ermordung des Präsidenten John F. Kennedy 1963 und die Watergate-Affäre 1972, die Richard Nixon das Präsidentenamt kostete. Erst seit Kurzem steht fest, dass beide Ereignisse miteinander verwoben waren und die CIA mit ihnen. 3)  

Während Bürger, Politiker und Journalisten auf die verspätete Wahrheitsfindung aus psychologischen Gründen nicht mit der notwendigen Initiative für eine authentische Liberalisierung der Informationssysteme reagieren, wird der ohnehin unter erschwerten Bedingungen arbeitende investigative Journalismus zusätzlich auf der rechtlichen Ebene behindert, richtiger gesagt auf einer rechtsstaatliche Prinzipien untergrabenden Ebene. Investigativ tätige Whizleblower wie Edward Snowden und Julian Assange werden dabei durch ein anachronistisches Gesetz bedroht, das ebenso freiheitsfeindlich und verfassungswidrig ist wie die Schaffung des o.g. Creel Committee, nämlich durch den Espionage Act aus demselben Jahr 1917. Der dort prinzipienfern in den Vordergrund gerückte Nebenaspekt eines eventuellen Zuganges von Feinden zu einzelnen Geheimnissen lenkt von dem ungleich höheren Rechtsgut ab, welches der Schutz der Bürger vor einem sich systematisch einer wirksamen demokratischen Kontrolle verweigernden Sicherheitsapparat darstellt.

Bei näherem Hinsehen erkennt man im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange - der wie kein anderer Mensch diverse Machenschaften seitens der Sicherheitsapparate aufgedeckt hat - den perfekten Indikator für die Frage, ob es den Nationen des Westens noch rechtzeitig gelingen wird, den polarisierenden Kräften Einhalt zu gebieten und DAMIT die - in den Medien heruntergespielte - Gefahr einer atomaren Eskalation abzuwenden. Wie gefährlich die routinemässig-unkritische Unterordnung unter die Meinungshohet der NATO-Militärkreise ist, zeigt das Beispiel der nun auch in die Ukraine gelieferten DU-Geschosse (Uranmunition). Die Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt wird grob verharmlost, indem die Narrative der Militaristen bedenkenlos übernommen werden und unabhängige Expertisen unbeachtet bleiben. 4)  

Mit derselben sachlichen Aufklärung und demokratischen Entschlossenheit, wie sie die Rettung Julian Assanges erfordert, lassen sich auch die Nationen europäischer Zivilisation vor einem weiteren Bruderkrieg bewahren. 5)

Daher sind Politiker, Journalisten und Bürger aufgefordert, sich zu dem Fall zu informieren und sofort zielführend für Assange einzusetzen, so wie es demokratischer Mitverantwortung entspricht. Dabei führt nichts an den Erkenntnissen des UN-Sonderbeauftragten Prof. Nils Melzer vorbei. Nach dessen Urteil “…, the case is of symbolic importance and affects every citizen of a democratic country”. - ... ist der Fall von emblematischer Bedeutung und betrifft jeden Bürger in einem demokratischen Staat. 6) 

Im Schutz eines Ambientes defizitärer demokratischer Wachsamkeit konnte das westliche Sicherheitsestablishment aus Militär, Geheimdiensten, Politik und Rüstungsindustrie jahrzehntelang ungestört eine Fülle von Miltäreinsätzen in Gang bringen und halten, deren gegen die Interessen der Bürger und gegen die Prinzipien der Freiheit, der Integration und der Selbstbestimmung gerichtete Wirksamkeit nicht klar detektiert und daher auch nie energisch reklamiert wurde. 

Indem Enthüllungen mit grosser Zeitverzögerung wie Fremkörper in einem inzwischen zigfach aktualisierten Nachrichtenambiente auftauchen, fehlt es fast immer am psychologischen Effekt des emotionalen Aufrüttelns, ohne den es kaum möglich ist, dauerhafte Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und erkannte Fehler zu korrigieren. Wie gesehen war das bereits nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg der Fall und es ist bis heute so geblieben.

So konnte sich die Art des Umgangs mit Menschen, wie sie während der philippinischen Besatzung gängige Praxis geworden war, im 20. Jahrhundert fortsetzen, wie u.a. der Vietnamkrieg 1955-1975 gezeigt hat. Besonders hatte eine Vielzahl lateinamerikanischer Länder unter permanenten Eingriffen des US-Sircheitsestabishments zu leiden, so beispielsweise Guatemala während des von 1960 bis 1996 dauernden Bürgerkriegs, der seine Wurzeln in einem von der CIA 1954 inszenierten Umsturz der demokratisch gewählten Regierung und deren Ersatz durch eine Diktatur hatte. 

Insgesamt gesehen waren die extrem kostspieligen Auslandseinsätze des US-Militärs und der Geheimdienste höchst ungeeignet, den stets verkündeten Prinzipien der demokratischen Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit Geltung zu verschaffen, damit Harmonie herzustellen und die Menschen für ein unabhängiges, freiheitliches Leben zu begeistern. Im Gegenteil erwiesen sich die Eingriffe mit grosser Regelmässigkeit als polarisierend, brutalisierend und dauerhaft destabilisierend. Zynischer Weise bestand die einzige Ebene, auf der langfristig aus dem empathiefreien Militäreinsatz auf den Philippinen von 1898-1901 Lehren gezogen wurden, darin, die (noch im Koreakrieg praktizierte) plumpe Nachrichtensperre durch immer geschicktere Formen propagandistischer Verzerrung und Schönfärberei zu ersetzen. Jeder Bürger, Politiker und Journalist kann sich mit sehr überschaubarer Internetrecherche darüber informieren, was investigativer Journalismus und revisionistische Historikerarbeit zu den rund 200 amerikanischen und/ oder britischen Auslandseinsätzen der Nachkriegsepoche IM NACHHINEIN ermittelt haben - aber im Moment der Ausführung unterschlagen oder verbogen präsentiert worden war. 

Unausweichlich entsteht das Gesamtbild eines Informationskrieges 7), eines Krieges, der nicht etwa gegen feindliche Mächte gerichtet war und ist, sondern gegen die eigene westliche Bevölkerung. Diese wird dabei zur Akzeptanz astronomisch teurer Aktionen veranlaßt, die ihren Sicherheitsinteressen und der Verbreitung ihrer freiheitlichen Ideale (sowie gesamteuropäischer Solidarität) zuwiderlaufen, die weltweite Reputation der westlichen Demokratien ruinieren und demokratieferne Gruppen an die Macht spülen – so u.a. in Vietnam, Somalia 8) und den Ländern des „Arabischen Frühlings“. 

Auch der desaströse Afghanistaneinsatz 2001-2021 (eigentlich bereits seit 1979) und der Irakkrieg 2003-2011 entsprachen diesem Muster. Der Angriff auf den Irak durch britisches und amerikanisches Militär erfolgte nach doppelter propagandistischer Vorbereitung, nämlich mit falschen Beschuldigungen (Besitz von Massenvernichtungswaffen entsprechend CIA-Meldungen) und mit dem erklärten, aber in der Realität konterkarierten Kriegsziel einer Befreiung. "We're coming with a mighty force to end the reign of your oppressors. We are coming to bring you food and medicine and a better life… and we will not stop … until your country is free." George W. Bush

Dem raschen militärischen Sieg folgte eine politisch extrem instabile Besatzungszeit bis 2011, wobei das wahre Gesicht der behaupteten Befreiung zu Tage trat, nämlich das einer brutalen Eroberung und Kette von Maßregelungen, Verhören und Erniedrigungen. Und wie auch anderswo wurden verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgebracht. Doch diese Wahrheit bekamen nur die Zeitzeugen im Irak im vollen Umfang mit und teilweise ein weltweites Medienpublikum außerhalb des Westens. 

Auch bei diesem Militäreinsatz bringen erst nachträgliche Enthüllungen zu Tage, was gar nicht hätte geschehen dürfen, nämlich einen Umgang mit der Zivilbevölkerung, der nach einfachsten psychologischen Regeln keine emotionale Atmosphäre der Solidarität und des Vertrauens aufkommen lassen konnte. Stattdessen wurde in dieser Zeit die Formung terroristischer Widerstandsgruppen provoziert, darunter des IS 9) 

Zur Zerstörung der Reputation der freiheitlichen Demokratie (u.a. durch die Installation korruper „demokratischer“ Regierungen und Ausbildung auffallend brutaler Sicherheitskräfte) trat mit der Zeit unweigerlich noch ein Respektverlust, indem der schwindende Rückhalt in der Bevölkerung auch keinen abschließenden militärischen Erfolg gegen die Extremisten zuließ.

Doch die Medien des Mainstream haben die selbstzerstörerischen Militäreinsätze jahrelang ohne substanzielle Kritik passieren lassen. Bis heute fehlt eine eindringliche kritische Hinterfragung des fortdauernden westlichen Engagements im bereits zur Hälfte zerstörten und entvölkerten Syrien, wo der (vom Irak übergesprungene) IS bereits 2021 als besiegt galt und wo das nun verkündete US-Ziel darin besteht, die (angeblich radikale) gewählte Regierung Assad zu stürzen. Dabei sollte es freie Journalisten stutzig machen, dass Assad Mitglied einer moslimischen Sekte ist, welche für ihr verträgliches Zusammenleben mit der christlichen Bevölkerungsgruppe bekannt ist, der Alawiten.

Auch im Ukrainekrieg halten Militärs, Politiker und Medien die (eigentlich vorrangigen) Sicherheitsinteressen der Bewohner der eroberten, zurückeroberten und erneut eroberten Gebiete aus dem Fokus. Dabei wäre ein mahnender Ruf nach Implementierung des in Artikel 1 der UNO-Charta verbrieften Selbstbestimmungsrechts dringend geboten – um den anachronistischen militärischen Kampf jetzt und endgültig abzulösen. Nachdem dieses Recht seit Juni 1945 mit weltweit desatrösen Folgen in der Schublade für unfertige Werkzeuge geruht hat, hängt nun an dessen sofortiger fairer Applikation im Osten der Ukraine die Schicksalsentscheidung zwischen Weltkrieg oder Frieden.

Aus dieser Perspektive sollte klar sein, dass die tatsächliche Front im Ukrainekrieg nicht die zwischen den kämpfenden Kriegsgegnern ist, sondern die zwischen einem rationalen Pazifismus und dem plumpen Militarismus auf beiden Seiten. Dieser bewegt die Mühle der Eskalation seit dem 17. Mai im Automatikmodus, denn an diesem Tag wurden die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland von der ukrainischen Regierung abgebrochen. 

Alle rationalen Überlegungen zur Beendigung der militaristischen Eskalation bleiben allerdings bis zu dem Moment nutzlose Theorie, in welchem sich der Journalismus vom autoritären Erwartungsdruck eines undemokratischen Propagandaapparats mit dem Anspruch eines Wahrheitsmonopols (Politial Corretness) zu befreien vermag. Denn ein konsequenter Friedenskurs gegen den Widerstand der Kriegstreiber im Hintergrund kann selbst von vernünftigsten Politikern nur mit der Rückendeckung durch einen wieder kritisch-wachsamen Journalismus durchgesetzt werden. Dieser hat auch Anlass, auf Neuwahlen zu drängen, nachdem der angelaufene Meinungsumschwung in der Bevölkerung die Unübersehbarkeitsmarke erreicht hat und der flagrante Bruch eines zentralen Wahlversprechens einem Weltkrieg nahe bringt. 2021 war auf Wahlplakaten der Grünen Partei in Deutschland zu lesen, „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“.

Die anstehende geistige Befreiung beginnt damit, dass sich die einzelnen Bürger, Politiker und Journalisten über die Tatsache und die Umstände ihrer mentalen Unfreiheit klar werden. Dazu gilt es, die psychologischen Mechanismen zu erkennen, die Menschen in einem untertänigen Status halten, in welchem unabhängiges, verantwortungsbewußtes  Denken und Handeln zugunsten einer generellen Konformität unbewusst abgelegt wird. 

Der Psychologe Prof. Stanley Milgram hat zu diesem Thema Anfang der 1960er Jahre eine Reihe genial einfacher und extrem aufschlußreicher Experimente durchgeführt. Der Gegenstand seiner Untersuchungen war das Wegschalten des kritischen Verstandes unter bestimmten Bedingungen. Als Schlüsselmechanismus erkannte Milgram den autoritären Erwartungsdruck. 10) 

Auch Politiker, Journalisten, Militärs und andere Angehörige des westlichen Establishments sind einem solchen Erwartungsdruck ausgesetzt, ohne sich dessen bewußt zu sein. Das gilt ebenso für den Einfluß des dabei maßgeblichen Phänomens der Rangordnung, genauer gesagt der subjektiven Wahrnehmung und Akzeptanz einer Rangordnung.

Im Ukrainekrieg geht der Erwartungsdruck von Militaristen aus führenden Militärs und Politikern der USA und Grossbritanniens aus. Deren höhere Rangposition wird dreifach reklamiert, erstens durch die Beteiligung des Militärs, einer Institution mit strikter Rangordnung, zweitens in Gestalt der hohen Positionen der betreffenden Personen sowie drittens über das Großmachtimage des Vereinigten Königreichs und der USA. Diesen Rangpositionsanspruch mit Entschiedenheit zurückzuweisen stellt den psychologischen Schalter dar, dessen Betätigung die Eskalationsgefahr augenblicklich abzustellen vermag. – Das ist auf der Begründungsebene nicht schwer, da der Anspruch jeglicher sachlichen Grundlage entbehrt:

Militärs und militärische Funktionäre wie ein Generalsekretär der NATO besitzen eine extrem indirekte und damit fast wertlose demokratische Legitimation.

Weiterhin ist die Erfolgsbilanz ihrer Auslandseinsätze so erschütternd schlecht, dass es allerhöchste Zeit für Einsichtigkeit und Fehleranalyse ist (insbesondere im Bereich ihrer psychologischen und soziologischen Schulung) - keinesfalls aber für neue Engagements.  

Der großspurig vorgetragene Rangpositionsanspruch der Militaristen steht nicht nur im krassen Widerspruch zur abgelieferten Leistung, sondern auch zur legitimen Position im Gefüge des demokrarischen Rechtsstaates. In diesem Gefüge sind es allemal die politischen und militärischen Repräsentanten der Bürger, die den letzteren Respekt schulden und weniger umgekehrt. Umso mehr gilt das für Repräsentanten der Repräsentanten der Repräsentanten wie im Falle des Militärs, der Geheimdienste und der EU-Kommission. Die Propaganda, mit welcher die Bürger zur Akzeptanz kontraproduktiver Aktionen verleitet werden, zeugt dagegen von Respektlosigkeit und Mangel an Solidarität.

 

Im Spiel mit Hunderten von Rüstungsmilliarden und mit demokratischen Bürgern auf der Zuschauerbank werden Miltäreisätze kritiklos gebilligt, welche die weltweite Reputation der freiheitlichen Demokratie seit Jahrzehnten erodieren. Das weithin unkritische Medienambiente hat die Menschen im Westen auch vor der überlebenswichtigen Einsicht abgeschirmt, dass der Abzug aus Afghanistan im August 2021 das endgültige Scheitern einer auf Militarismus gestützten amerikanischen Weltmachtpolitik markiert hat - und somit das Ende eines schon lange bröckelnden internationalen Sicherheitsgefüges. Die Taliban, denen „zufällig“ Waffen im Wert von etwa 85 Milliarden Dollar - amerikanisch 85 billion dollars - in die Hände gefallen waren, betrachten sich seither als Supermacht. 11) 

 

Indem der augenblickliche politische Kurs zielsicher in eine Gewaltkette aus Kriegen und Bürgerkriegen zu führen verspricht, ist der Moment gekommen, einer alten Indianerweisheit zu folgen, nach der man absteigen soll, wenn man merkt, dass das Pferd tot ist.

 

Die einzige und letzte Chance für die USA als demokratische Republik fortzubestehen, liegt darin, sich auf das Erfolgskonzept ihrer Gründerjahrzehnte zurückzubesinnen und damit wieder die Rolle eines authentisch freiheitlich-demokratischen, verfassungs- und prinzipientreuen Vorbildes anzunehmen, das sich und seine Wertegemeinschaft nicht mehr auf suizidale Abwege leitet - weder auf den des Appeasements, noch den des Militarismus.

 

Die Aufgabe, die dabei den freien Medien zukommt, findet sich in einem Ausspruch Thomas Jeffresons umrissen: “Enlighten the people generally, and tyrany and oppressions ... will vanish like evil spirits at the dawn of day.” – Hebe das allgemeine Bewusstsein der Menschen und Tyrannei und Unterdrückung ... werden wie böse Geister bei Tagesanbruch verschwinden. 

Christian Hamann

 

  1. Vgl. Thomas Spekmann, Amerikas Sündenfall, in Der Tagesspiegel 2009, Referenz https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/geschichte/guerillakrieg-amerikas-suendenfall/1467292.html
  2. Victor Machetti, in The Journal of Historical Review, Fall 1989 (Vol. 9, No. 3), pages 305- 320.
  3. Tucker Carlson, Here's what a source said about the CIA and JFK's assassination, December 2022 in Fox News, https://www.foxnews.com/opinion/tucker-carlson-heres-source-cia-jfks-assassination
  4. Leuren Moret, Depleted Uranium: The Trojan Horse of Nuclear War, 2004/ 2011, in Voltairenet.org, https://www.voltairenet.org/article169437.html
  5. Christian Hamann, Kommentare zum Ukrainekrieg in Aktion Frieden, Freiheit & Fairness, https://www.frieden-freiheit-fairness.com/kommentare-zum-ukrainerieg-d-1-bis-d-4
  6. Nils Melzer im Interview mit Daniel Ryser 2020 in Republik.ch, Referenz https://www.republik.ch/2020/01/31/nils-melzer-about-wikileaks-founder-julian-assange
  7. Thymian Bussemer Medien als Kriegswaffe - Eine Analyse der amerikanischen Militärpropaganda im Irak-Krieg, 2003, in Bundeszentrale für politische Bildung https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/27247/medien-als-kriegswaffe/
  8. Harun Maruf, Dan Joseph, Inside Al Shabaab The Seret History of Al Qaeda´s Most Powerfull Ally https://archive.org/stream/InsideAlShabaabTheSecretHistoryOfAlQaedasMostPowerful/Inside%20Al-Shabaab%20The%20Secret%20History%20of%20Al-Qaeda%E2%80%99s%20Most%20Powerful_djvu.txt
  9. Christian Hamann, Das Konzept für Frieden, Freiheit und Fairness, Anhang C 6, https://www.frieden-freiheit-fairness.com/anhang-c-6
  10. Christian Hamann, Das Konzept für Frieden, Freiheit und Fairness, Kapitel A1, https://www.frieden-freiheit-fairness.com/kapitel-a-1-bis-a-3
  11. Uwe G. Kranz, TRIUMPH DER TALIBAN: “NACH KABUL KOMMT ROM” in Ansage! 06.10.2021, https://ansage.org/triumph-der-taliban-nach-kabul-kommt-rom-teil-2/